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Facetten der Tier-Mensch-Beziehung

© GettyImages / RyanJLane

Von Maren Heincke

Zwischen Nähe und Entfremdung

Es gibt eine lange Ko-Evolution zwischen Tier und Mensch, die stark kulturspezifisch geprägt ist. Der Hund ist seit geschätzt 30.000 Jahren der Jagdgefährte des Menschen. Vor etwa 10.000 Jahren begann die neolithische Revolution mit Sesshaftwerdung und Domestizierung der Wildtiere. Es gibt Arbeits-, Zug- und Tragtiere. Tiere spenden Fleisch, Milch, Eier, Honig und Felle. In einigen Weltgegenden hängt bis heute das Überleben von Nomaden von ihren Nutztieren ab. Tiere werden im Rahmen von tiergestützten Therapien eingesetzt oder erschnüffeln Drogen und Minen.

In Deutschland gab es bis weit nach dem 2. Weltkrieg neben den landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieben viele kleinbäuerliche Tierhalter sowie Gärten mit Kleinvieh wie Kaninchen oder Geflügel. Der Kontakt zu Nutztieren gehörte dadurch zur Alltagsnormalität.

Inzwischen gibt es eine tiefe Entfremdung zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung. Viele verstehen die traditionell bäuerliche, anständige aber rationalisierte Haltung zum Nutztier nicht mehr. Echte Verbesserungen werden kaum wahrgenommen - z. B. Laufställe statt Anbindehaltung bei der Milchviehhaltung. Umgekehrt leugnen Agrarlobbyisten die nach wie vor bestehenden erheblichen Haltungsdefizite bei Schweinen und Geflügel.

Kollektive Verdrängungsleistungen

Bei den meisten Verbrauchern herrscht ein gespaltenes Bewusstsein gegenüber Tieren vor. Sie nehmen eine kontextgebundene Behandlung und soziale Hierarchisierung von Tieren vor. An der Spitze steht der als Familienmitglied überhöhte Hund.

Dem gleich intelligenten Schwein oder dem ruhig-zutraulichen Rind möchten die Meisten hingegen nicht in die Augen blicken, sondern nur als abgepacktem Fleischstück begegnen. Der blutige Schlachtvorgang wird verdrängt zwecks unbeschwerten Genusses.

Es handelt sich dabei nicht bloß um eine individuelle, sondern um eine kollektive Verdrängungsleistung. Es findet systemisch eine kognitive und mentale Aufspaltung zwischen Haustieren und Nutztieren statt. Das Leiden der vielen Millionen Nutztiere ist wie ein dunkler Tabubereich der Gesellschaft. Alle Informationen liegen offen auf dem Tisch. Und das seit Langem.

Aber auch die Behandlung von Haustieren als Familienmitglieder hat nicht bloß einen Vorteil durch die sehr gute Versorgung. Die Kehrseite ist, dass Haustiere, die wirklich leiden und keinerlei Heilungschance mehr haben, nicht mehr wie früher eingeschläfert, sondern auf Wunsch der Haustierbesitzer intensivmedizinisch behandelt werden. Das ist auch für Tierärzte oft ein schwieriger Abwägungsprozess.

Biblische Spurensuche

Es gibt in der Bibel keine eindeutigen Aussagen zum Tier. Eine selektive Instrumentalisierung der Bibel zwecks Untermauerung einseitiger Positionen verbietet sich. Es lohnt sich jedoch, sich auf eine Spurensuche für eine Ethik der Mitgeschöpflichkeit in der biblischen Tradition zu begeben.

In der Bibel wimmelt es nur so von Tieren. Angefangen bei den Schöpfungsberichten und den friedlichen paradiesischen Zuständen. Bis hin zur Sintflut und Errettung aller Tierarten in der Arche Noah. Die Sabbatruhe galt auch für Nutztiere. Es gab zahlreiche Opfer-, Tötungs- und Speiserituale. Beim Umgang mit Tieren geht es in der Bibel um Schuldzusammenhänge und Entlastungsmechanismen, Ehrfurcht vor dem Leben und Überlebenskampf auf Kosten von anderem Leben, die gemeinsame Angst von Mensch und Tier vor dem Tod.

Es gibt die Hoffnung auf einen zukünftigen Schöpfungsfrieden und damit auf Gewaltminderung im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Die Bibel handelt außerdem von der Beziehung der Tiere zu Gott bzw. Gottes Beziehung zu seinen Geschöpfen, den Tieren.

Das EKD-Impulspapiers von 2019 „Nutztier und Mitgeschöpf“ zeigt die große Spannweite der theologischen Positionen auf. Der Titel weist auf das ethische Spannungsverhältnis der Tiernutzung hin. Ein Tier wird vom Menschen und für menschliche Zwecke genutzt, sogar geschlachtet. Und gleichzeitig ist es ein Mitgeschöpf und hat einen hohen Eigenwert und einen Anspruch auf ein tiergerechtes Leben.

Tiere haben jedoch - im Gegensatz zum Menschen – bloß ein abgestuftes Lebensrecht. Fragen rund um die Legitimität des Tötens von Tieren, ihrer geschöpflichen Würde und Verzweckung sind kompliziert. Einfache, eindeutige theologische Antworten zur Nutztierhaltung und Fleischkonsum gibt es nicht. Es gilt aber, nicht länger die Augen zu verschließen vor dem Leiden der Tiere, sondern den Mund aufzutun, für die stumme Kreatur.

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Was ist das Tier? Was ist der Mensch?

Der Blick des Menschen auf das Tier unterscheidet sich je nach geschichtlichem und kulturell-religiösem Kontext sehr stark.

Im christlichen Diskurs kann an vielfältige Spuren der Mitgeschöpflichkeit in der Bibel angeknüpft werden. Lange Zeit war das Christentum jedoch überwiegend von „Tiervergessenheit“ geprägt. Eine wichtige Ausnahme war Franz von Assisi.

Einen Tiefpunkt anthropozentrischer Sichtweisen bildete im 17. Jahrhundert René Descartes. Er erklärte Tiere zu bloßen Maschinen.

Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland eine pietistisch geprägte Tierschutzbewegung. Im Vordergrund stand die Vermeidung von Schmerzen. Tiere als Mitgeschöpfe sollten nicht überflüssig gequält werden.

Im 20. Jahrhundert prägte Albert Schweitzer den Kernsatz „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Ethische Verpflichtungen enden nach seiner Auffassung nicht an der menschlichen Artengrenze sondern beziehen die Tiere mit ein.

Heute gilt auch für die Theologie: Menschenwohl, Tierwohl und Umweltwohl gehören fundamental zusammen gedacht.

Ich merke, der weite Raum
entsteht nicht in mir und durch mich.
Er entsteht, weil andere da sind,
die mir Räume eröffnen,
gnädig umgehen mit meinen Schwächen,
sich einsetzen für einen menschenwürdigen Umgang
mit allen Menschen.

(Melanie Beiner zu Psalm 31,9)

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