Erste Schritte für Angehörige von Pflegebedürftigen

Die Erwachsenen, die heute mitten im Leben stehen, haben eine Menge zu stemmen: die Partnerschaft pflegen, den Leistungsansprüchen im Job gerecht werden, möglicherweise eine Familie gründen und Kinder groß ziehen – für den eigenen, inneren Ausgleich bleibt da manchmal wenig Zeit. Und dann wartet im Hintergrund eine neue Aufgabe, die zunehmend in den Vordergrund rückt: Die Sorge um die älter werdenden Eltern.
Die wenigsten sind darauf vorbereitet, wenn sich beim Besuch bei den Eltern die Anzeichen häufen:
- Ungeschicklichkeiten nehmen zu, beispielsweise beim Öffnen eines Marmeladenglases; das kann daran liegen, dass die körperliche Kraft abnimmt,
- Unsicherheiten häufen sich, beispielsweise beim Gehen,
- die Eltern erzählen von Stürzen,
- die Eltern berichten von Schmerzen,
- die Eltern erzählen immer häufiger von Arztbesuchen,
- die Anzahl der Medikamente, die sie einnehmen, nimmt immer mehr zu,
- zunehmend werden alltägliche Handgriffe vergessen, wie beispielsweise Wasser beim Kochen in den Topf zu füllen, Adressen werden vergessen,
- die Wohnung wirkt unordentlicher,
- die Kleidung wirkt fleckiger und zerknitterter,
- Erzählungen über die Vergangenheit häufen sich, bestimmte Erlebnisse werden immer wieder wie kürzlich erlebt geschildert,
- die Orientierungsfähigkeit nimmt ab – um sich z.B. einen Tee zuzubereiten, will der Betroffenen dafür ins Badezimmer gehen,
- eine schwere Krankheit wie ein Schlaganfall, Herzinfarkt oder Krebs hat Einschränkungen zur Folge.
Von Erfahrungen profitieren
Gudrun Born möchte betroffenen Töchtern und Söhnen den Druck vor der Auseinandersetzung mit dieser Situation nehmen. Sie hat 17 Jahre ihren Mann nach dessen Hirninfarkt gepflegt. Ihre Erfahrungen gibt sie als Mitglied einer Interessenvertretung für pflegende Angehörige „Wir pflegen e.V.“ weiter, dort ist sie mit ihrer Expertise beim Thema Rentenzuzahlungen gefragt. Auch beim Studientag „Zukunft der Pflege“ am Samstag, 13. April 2019, in der Evangelischen Akademie Frankfurt, teilt sie ihr Wissen. Start ist um 9 Uhr. Mit den Teilnehmenden wird sie in dem Workshop „Gedanken, Empfindungen und Belastungen von pflegenden Angehörigen“ im Gespräch sein. Aber auch den Leserinnen und Leser von ekhn.de möchte sie mit Empfehlungen für die ersten Schritte bei Pflegebedürftigkeit eines Familienangehörigen zur Seite stehen:
Erste Schritte bei Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit
Tipp 1: Lassen Sie sich beraten
Es gibt verschiedene Beratungsstellen, an die Sie sich wenden können. Dabei können Sie sich an professionelle Beratende wenden, aber auch an Selbsthilfegruppen und ehrenamtliche Pflegebegleiter/innen, die auch Hausbesuche machen.
- Ehrenamtliche Pflege-Begleiter Frankfurt
- Pflegetelefon und Kurzinformationen des Bundesfamilienministeriums
- Verbraucherzentrale: Hilfe für pflegende Angehörige
- Was tun im Pflegefall? Interaktiver Leitfaden des Hessischen Sozialministeriums
- Auswahlhilfe Pflegeangebote des Hessischen Sozialministeriums
- Hessisches Ministerium für Soziales und Integration: Pflege in Hessen
- Gesundheit und Pflege in Rheinland-Pfalz
- Diakonie Hessen
- Diakonie- und Sozialstation vor Ort
Tipp 2: Einem (potentiellen) Pflegebedürftigen kein Versprechen geben
„Versprich mir, dass du mich nie in ein Heim gibst.“ Dieser Wunsch könnte auf Menschen zukommen, die als pflegende Angehörige in Frage kommen. Gudrun Born empfiehlt, einem solchen Wunsch nicht vorbehaltlos zuzustimmen. Denn es können sich Umstände entwickeln, die eine häusliche Pflege erschweren oder unmöglich machen. Beispielsweise kann die potentielle Pflegeperson in Zukunft selbst krank werden oder sie muss sich verstärkt um den Lebensunterhalt kümmern und verbringt damit mehr Zeit im Job. Dann kann ein Heim eine gute Möglichkeit sein, um den pflegebedürftigen Angehörigen betreuen zu lassen. Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen ihr Versprechen nicht halten können, machen sich später oft Vorwürfe.
Eine alternative Antwortmöglichkeit wäre, dem Angehörigen zu versichern, dass man seinen Wunsch gut nachvollziehen könne und einem sein Wohl am Herzen liege. Man werde ihm die Unterstützung geben, die die eigenen Möglichkeiten zulassen. Gemeinsam könne man sich auf die Suche nach der für alle besten Lösung machen.
Tipp 3: Ressourcen klären - vorhandene Betreuungspersonen, Zeit, Finanzierung
Um wichtige Entscheidungen vorzubereiten, sollten Sie klären, welche Ressourcen Sie zur Verfügung haben. Die Fragen wären:
- Wie lautet die Diagnose des behandelnden Arztes der pflegebedürftigen Person?
- Welche Folgen bedeutet die ärztliche Diagnose für den zu erwartenden Pflegebedarf?
- Beantragen Sie bei Ihrer Krankenkasse einen Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, er stellt den Pflegegrad fest.
- Wie hoch wird der Zuschuss der Pflegeversicherung sein, der sich nach dem Pflegegrad richtet? u
- Welche Fähigkeiten des/der Kranken sind besonders beeinträchtigt?
- Wie gut und stabil ist die zwischenmenschliche Beziehung zur pflegebedürftigen Person bisher gewesen?
- Welche Personen sind bereit, die Pflegeperson bei ihrer Arbeit zu entlasten oder vertreten?
- Möchten und können Sie sich von Ihrem Arbeitgeber bis zu sechs Monate für die Pflege eines nahen Angehörigen freistellen lassen (mit keiner oder nur anteiliger Bezahlung)?
- Entspricht die Pflegeintensität eines professionellen Pflegedienstes den Bedürfnissen des zu pflegenden Angehörigen?
- Wenn die Pflegeperson durch ihre neue Aufgabe beruflich kürzer treten muss: Ist die Finanzierung des eigenen Lebensunterhaltes gewährleistet? Denn das Pflegegeld deckt nur knapp die pflegebedingten Kosten des Pflegebedürftigen ab. Lassen Sie sich beraten, um nicht in Armut zu rutschen.
- Kommt eine Unterbringung in einem Alten- und / oder Pflegeheim infrage?
- Hat der/die Pflegebedürftige ausreichend finanzielle Mittel, um eine Heimunterbringung zu bezahlen?
Bedenken Sie: Kinder, Ehepartner und Lebensgefährten von Pflegebedürftigen können im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zur Bezuschussung der monatlichen Heimkosten herangezogen werden, wenn die Rente oder das Vermögen des Pflegebedürftigen nicht ausreichen.
Tipp 4: Gespräche mit der Familie: Verantwortlichkeiten klären
Häusliche Pflege benötigt Zeit und Energie der betreuenden Angehörigen. Viele Pflegebedürftige können nicht alleine bleiben, da kann ein Großeinkauf oder ein Kurzurlaub zur Herausforderung werden. Deshalb ist es sinnvoll, dass sich pflegende Angehörige rechtzeitig ein Hilfenetz aufbauen. Es empfiehlt sich, diesbezüglich mit Verwandten, Freunden oder Nachbarn zu sprechen.
Tipp 5: Von erfahrenden Pflegenden in einer Selbsthilfegruppe lernen – auch digital
„Tipps von erfahrenen Leuten können hilfreicher sein als jede Hochglanzbroschüre“, weiß Gudrun Born. Sie berichtet von einer Dame, deren Forderung auf Zahlung von Pflichtbeiträgen zu ihrer eigenen Rente erst nach mehreren Gesprächen gelang. Eine erfahrene Angehörige hatte ihr den Tipp gegeben, sich nicht abwimmeln zu lassen – mit Erfolg. Deshalb ermutigt Gudrun Born dazu, sich nach Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige im eigenen Umkreis umzuschauen.
Fehlen sie, können digitale Angebote eine Anlaufstelle sein:
Tipp 6: Alternativen wie Zeittauschgruppe ins Auge fassen
Pflegende Angehörige können nicht rund um die Uhr anwesend sein. Aber wie finden die eine Vertretung? Möglicherweise haben sie zu wenig Geld, um eine Vertretungskraft zu finanzieren. Dann empfiehlt es sich, in Ihrer Region nach Zeittausch-Initiativen Ausschau zu halten. Das heißt zum Beispiel: Sie können in Ruhe einkaufen, jemand anders leistet so lang Ihrem Angehörigen Gesellschaft. Im Gegenzug können Sie irgendwann einem anderen Tauschringmitglied einen Gefallen tun. Durch den Hilfetausch halten sich Geben und Nehmen im Gleichgewicht.
Studientag "Zukunft der Pflege" am 13. April 2019 in der Ev. Akademie Frankfurt
[VB/RH]
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken