Tipps für langfristige Freude am Sport

Weg zwischen Komfortzone und Körperkult
„Auf Instagram und anderen sozialen Medien werden viele Idealbilder von fitten Körpern gepostet. Studien haben gezeigt, dass kaum erreichbare Idealbilder großen Druck erzeugen können“, so die Sportpsychologin Dr. Lena Busch. Im Kontrast dazu gilt aber über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland als übergewichtig. Gemeinsam mit Sportpfarrer Eugen Eckert gibt sie Empfehlungen für eine gesunde Sportpraxis, die Spaß machen kann!

Das Thema körperliche Fitness beschwört Extreme herauf, extreme Gegensätze. Auf der einen Seite hat sich die Anzahl der Mitglieder von Fitnessstudios seit 2008 auf weit über 11 Millionen verdoppelt. Auch die 750 Millionen Beiträge auf Instagram zu #fitness sprechen dafür, dass die Arbeit am eigenen Körper im Trend liegt. Zu sehen sind Fotos von Frauen und Männern beim Training, manche präsentieren ihre deutlich definierten Muskeln.
Gleichzeitig gilt aber über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland als übergewichtig, so der Stand 2017. Und fast 15 Prozent der Kinder bringen zu viel auf die Waage [mehr zu Übergewicht im Link-Kasten unten]. Mit diesen Entwicklungen ist auch Eugen Eckert konfrontiert. Er ist Kontaktpfarrer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu den Sportverbänden und Stadionpfarrer in der Frankfurter Commerzbank-Arena. Im Vorfeld des „Sportethischen Forums“ am 24. Januar 2020 in Frankfurt am Main verdeutlicht er: „Der Körper ist etwas Kostbares und Wesentliches. Darauf hat uns schon Apostel Paulus hingewiesen, als er vom Menschen als `Gottes Tempel´ gesprochen hat.“

Weniger Bewegung im Alltag
Aber wie ist es heute um diesen „Tempel“ bestellt? Einerseits bewegen wir uns im Alltag immer weniger und sitzen mehr. Pfarrer Eckert erklärt: „Kinder und Erwachsene verbringen heute mehr Zeit mit ihren Handys und Tabletts. Dadurch reduzieren sich ihre Bewegungen auf Finger und Augen. Auf lange Sicht kann das zu Gesundheitsproblemen führen.“ Deshalb höre er häufig von Sportwissenschaftlern, wie wichtig körperliche Aktivität sei.

Körper als Symbol für Erfolg
Andererseits stehe der Körper als Sinnbild für Erfolg zunehmend im Vordergrund. Eugen Eckert veranschaulicht: „Ich habe gelesen, dass es für Männer in den Dreißigern aus dem Silicon Valley nichts Außergewöhnliches ist, zum Schönheitschirurgen zu gehen.“ Auch in Deutschland sind viele Frauen und Männer bestrebt, ihren Körper mit den unterschiedlichsten Methoden zu optimieren. Beispielsweise sind Fitness-Tracker oder Smartwatches ziemlich verbreitet. Mit den Geräten und Anwendungen werden die eigenen Aktivitäten gemessen. Sie erkennen die praktizierte Sportart, ermitteln zurückgelegte Strecken, verbrannte Kalorien, den Puls, die Schlafphasen und vieles mehr. Die Sportpsychologin Dr. Lena Busch hat am Institut für Sportwissenschaft an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster die Auswirkungen von Fitness-Trackern erforscht. Dabei zeigten sich Vor- und Nachteile. Sie erklärt: „Tatsächlich bewegten sich die Befragten mit Fitness-Trackern häufiger. Die Auswirkungen waren allerdings auch sehr individuell.“ Die Studie zeigte aber auch, dass Fitness Tracker Druck erzeugen können, eine extrinsisch (von außen) bestimmte Motivation. Lena Busch veranschaulicht: „Bei einem bestimmten digitalen Schrittzähler sind 10.000 Schritte pro Tag voreingestellt. Für einen Vollzeit arbeitenden Berufstätigen ist das kaum realisierbar, wird aber teilweise als Idealziel wahrgenommen.“ Pfarrer Eckert entdeckt wenig Positives an Fitness-Trackern: „Sie bringen uns in eine Art Gefangenschaft. Wenn ich mehrmals täglich nachschauen müsste, wie viele Kalorien ich verbraucht habe, würde mir das eine Menge Lebensfreude nehmen.“
Körperkult mit Risiken
Ob beim Schönheitschirurgen, beim Einsetzen von Foto-Filtern, beim strikten Einhalten eines Ernährungsplanes oder beim eisenharten Fitnesstraining : „Es wird teilweise ein Körperkult zelebriert, der das Maß der Dinge überschreitet. Manche Jugendlichen arbeiten so gnadenlos an ihren Körpern, dass Essstörungen entstehen“, so die Sorge von Pfarrer Eckert. Auch die Sportpsychologin Dr. Lena Busch hat beobachtet, dass so manches exzessive Training auf eine Sportsucht hindeuten könnte. Dabei befürwortet Pfarrer Eckert durchaus einen gewissen Leistungsanspruch im Sport: „Viele Sportlerinnen und Sportler haben einfach Spaß daran, ihre Leistungen zu verbessern. Das ist meines Erachtens vollkommen in Ordnung. Problematisch wird es, wenn es in den Suchbereich geht.“
Empfehlungen für Spaß am Sport
Um im Dschungel der Trends und Empfehlungen den Durchblick zu behalten, bieten die Sportpsychologin Dr. Lena Busch und der Stadionpfarrer Eugen Eckert Orientierung anhand von Fragen:
1. Was macht mich aus?
Pfarrer Eugen Eckert empfiehlt, sich als ganzheitliche Persönlichkeit mit allen Facetten wahrzunehmen: beispielsweise mit der eigenen Unverwechselbarkeit und mit eigenen Wünschen, Gedanken, Gefühlen, Aktivitäten und Beziehungen. Dabei legt er jedem ans Herz darauf zu achten, welche Tätigkeiten richtig Spaß machen. Denn all das gehöre auch zum Gesamtpaket eines Menschen, das seine Ausstrahlung bewirke.
2. Bin ich zufrieden mit meinem Körper?
Cellulite oder ein molliges Bäuchlein können die Laune beim Blick in den Spiegel trüben. Pfarrer Eckert kennt einen Gedanken als Gegenmittel: „Jeder Mensch besitzt eine unverlierbare Würde.“ Dadurch habe jeder Mensch das Potential, einen gesunden Selbstwert zu entwickeln – eine wichtige Voraussetzung für Bewegungsfreude. Der Selbstwert entstehe beispielsweise, wenn sich Kinder von ihren Eltern geliebt fühlten. Auch nachträglich kann der Selbstwert gestärkt werden. Sportpsychologin Busch weiß: „Besonders schön ist es, wenn uns unsere Freunde und Familienmitglieder das Gefühl geben, dass wir auch mit unseren Macken liebenswert sind.“ Deshalb empfiehlt sie, sich mit Leuten zu verbinden, denen bewusst sei, dass kein Mensch perfekt sei, die aber Spaß an Bewegung haben.
Für Pfarrer Eckert ist auch die innere Haltung entscheidend: „Es ist ein guter Anfang, für sich selbst Sport zu treiben, um etwas Gutes für sich zu tun, um gesund zu bleiben.“
Als Seelsorger ist er mit Frauen und Männern konfrontiert, die an ihren Körper eher „Problemzonen“ entdecken: „Im Gespräch versuche ich mit ihnen gemeinsam Wege zu finden, damit sie sich so annehmen können, wie sie sind.“ Besonders freue er sich, wenn die Betroffenen eine Grundzufriedenheit mit ihrem Körper entwickeln können.
3. Welche Signale sendet mir mein Körper?
Ein überraschender Tipp der Sportpsychologin: „Wenn jemand sich gerade nicht ganz gesund fühlt, kann es auch in Ordnung sein, auf dem Sofa zu faulenzen.“ Lena Busch empfiehlt grundsätzlich, die Signale des eigenen Körpers wahrzunehmen: „Es ist wichtig darauf zu hören, was einem gut tut.“ Das könne ganz individuell sein. Der eine müsse sich richtig auspowern, ein anderer fühle sich wohl beim Mannschaftssport und ein dritter liebe Spaziergänge. „Auch wenn sich jemand über längere Zeit wenig bewegt, wird der Körper signalisieren, dass das nicht gut tut – beispielsweise durch Rückenschmerzen“, so die Sportpsychologin. Pfarrer Eckert stimmt ihr zu: „Wir waren einst Jäger und Sammler und mussten uns bewegen, um zu überleben. Nicht bewegen heißt, dass wir uns gegen unsere eigene Entwicklung stellen.“ Denjenigen, die ihre Körpersignale besser verstehen möchten, empfiehlt Lena Busch: „Yoga und Meditation verbessern die Körperwahrnehmung. Das haben Studien nachgewiesen.“
4. Wo erlebe ich Glücksmomente beim Sport?
Sportliche Aktivitäten würden eher langfristig beibehalten, wenn sie von innen heraus motiviert seien – das ergebe die Studienlage. Sportpsychologin Lena Busch erklärt: „Wenn jemand bei bestimmten Sportarten Freude empfindet, stärkt das seine intrinsische – also innere - Motivation.“ Die Freude an Bewegung sei demnach ein zentraler Aspekt, um regelmäßig Sport zu treiben. Pfarrer Eckert erlebt selbst unmittelbar, wovon die Sportpsychologin spricht: „Beim Skifahren freue ich mich darüber, fast schwerelos über den Hang zu gleiten und die wunderbaren Berge zu sehen.“ Eine der schönsten Facetten im Sport ist für Pfarrer Eckert der soziale Aspekt. Er präzisiert: „Das kann auch heißen, sich mit anderen zu messen, aber auch unterstützende Gemeinschaft zu erleben wie beim Bergsteigen oder beim Rudern.“
5. Gibt es ein Ideal, das ich erreichen möchte?
„Auf Instagram und anderen sozialen Medien werden viele Idealbilder von fitten Körpern gepostet. Studien haben gezeigt, dass kaum erreichbare Idealbilder großen Druck erzeugen können“, so die Sportpsychologin Busch. Auch in ihrer eigenen Studie über Fitness-Tracker wurde deutlich, dass überdurchschnittlich viele Anwenderinnen und Anwender solche Aspekte wie Aussehen, eine bessere Figur, aber auch Ablenkung als Motive angegeben haben, um mit einem Tracker zu trainieren. Sie erklärt: „Die Motive für die Motivation legen nahe, dass viele Menschen sich an eine äußere Norm anpassen möchten.“ Ihre Forschung hat ergeben, dass Fitness-Tracker tatsächlich motivieren, häufiger Sport zu treiben. Allerdings hat Lena Busch festgestellt, dass es sich dabei eher um eine von außen wirkende (extrinsisch) Motivation gehandelt habe. Der Nachteil dieser Motivation sei, dass viele mit ihren sportlichen Aktivitäten nach kurzer Zeit wieder aufhören.
Pfarrer Eckert geht davon aus, dass hinter den hohen Idealen eine gesellschaftliche Entwicklung steckt, bei der Leistungsaspekte aus Schule und Beruf auf den eigenen Körper übertragen würden. Der sportbegeisterte Pfarrer erklärt: „Hinter einem extrem harten Fitnesstraining kann unbewusst die Angst stecken, nicht leistungsfähig genug zu sein, ausgemustert zu werden.“ Davon seien beispielsweise z.T. junge Frauen mit Kindern betroffen, die attraktiv bleiben möchten – und zugleich eine gute Mutter und beruflich erfolgreich sein wollen. „Da kann ein enormer Druck entstehen“, so die Sorge des Pfarrers. Auch Männer seien betroffen, beispielsweise um als ernsthafte Konkurrenten von anderen Männern wahrgenommen zu werden. Pfarrer Eckert zeigt Verständnis, gibt aber zu bedenken: „Es macht schon stolz, den eigenen Spitzenwert zu übertreffen. Aber langfristig macht das nicht glücklich. Wie bei einer Schraube kann ich die eigene Leistung nicht unendlich weiter drehen – irgendwann bricht etwas.“
Sportpsychologin Busch empfiehlt, sich weniger auf sozialen Plattformen oder Internetseiten aufzuhalten, die Idealbilder veröffentlichen. Stattdessen solle ein unmittelbare soziales Umfeld aufgesucht werden, bei dem Spaß an Bewegung befürwortet und Unperfektes als dazugehörig empfunden werde.
6. Woran merke ich, dass ich sportsüchtig bin?
Sportpsychologin Busch hat beobachtet: „Wenn jemand einem Idealbild nachjagt, wenn Ernährungspläne und Trainingseinheiten das Leben bestimmen, wird es kritisch.“ Zu den Warnsignalen gehören: exzessiv Sport treiben, sich zum Training getrieben fühlen und Probleme damit haben, mal eine Trainingseinheit ausfallen zu lassen. Auch wenn sich jemand von seinen sozialen Kontakten zurückzieht, um zu trainieren, sind das ernst zu nehmende Signale. Und wenn Mädchen ihr Fitnesspensum steigern, gleichzeitig stark ihre Ernährung reduzieren und abmagern, sollte man aufmerksam werden. Meist leiden die Betroffenen unter ihrem Verhalten. All das können Anzeichen einer Sportsucht sein.
7. Wie kann ich meine Kinder für mehr Bewegung begeistern?
„Um Kinder für mehr Bewegung zu begeistern, gibt es eine starke Methode: das Lernen am Modell. Das heißt: Wenn Eltern selbst mit gutem Beispiel vorangehen, ein gesundes Sportverhalten vorleben, ist das eine gute Voraussetzung“, so die Empfehlung von Sportpsychologin Busch. Dabei sollten Kinder ohne Zwang zum Sport mitgenommen werden. Das erlebt auch Eugen Eckert mit seinem Nachwuchs: „Wenn ich mit meinem Sohn beim Skifahren bin, hat er unglaublichen Spaß. Das Handy spielt dann keine Rolle mehr.“ Der Pfarrer empfiehlt, bestimmte Aktivitäten ins Auge zu fassen, bei denen sich Bewegung und Abenteuerlust miteinander verbinden: „Schwimmen, Bergsteigen, Kletterwälder besuchen oder Geocaching sind tolle Möglichkeiten.“ Eugen Eckert geht auch davon aus, dass ohnehin dem Menschen eine natürliche Lust zum Bewegen innewohnt.
Wer allerdings diesen Zugang etwas verloren hat und sich nicht sicher ist, wie ein gesundes Sportverhalten umgesetzt werden kann, dem empfiehlt Lena Busch die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation. Auch die Bundesregierung hat sie größtenteils in ihre „Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung“ aufgenommen.
Links:
„Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung“ (PDF)
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