1945 - 1949
1945

Mitten im Elend
Neubeginn der Diakonie
Die Kirche wendet sich den Menschen in ihrer alltäglichen Not zu. Das 1945 gegründete Evangelische Hilfswerk unterstützt Gemeinden in ihrem diakonischen Engagement.
Es steht bis 1954 unter der Leitung von Dr. Otto Fricke, dem Walter Rathgeber folgt. Die von den Nationalsozialisten unter staatliche Leitung gestellten Kindertagesstätten und diakonischen Einrichtungen wie die Heime Scheuern und die Nieder-Ramstädter Heime nehmen ihre kirchliche Arbeit wieder auf. Die evangelischen Werte erarbeitet sich das Personal in Seminaren. 1948 entsteht der Landesverein für Innere Mission in der EKHN als Träger diakonischer Einrichtungen.
1946
Geistliche Räume aus Trümmern
Das Programm Notkirchenbau
Um den entwurzelten Menschen schnell geistlichen Halt und Raum bieten zu können, entwickelt der evangelische Architekt Otto Bartning fünf Kirchentypen, die schnell, preiswert und mit Eigenarbeit der Gemeinden errichtet werden können. Ein Holzgerüst, das ohne Kran zusammengefügt werden kann, bildet den Rahmen. Das Mauerwerk kann aus örtlichem Trümmermaterial erstellt werden.

Ein eigener Stadtteil für die Unerwünschten
Integration der Flüchtlinge
Zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene aus Mittel- und Osteuropa siedeln sich im EKHN-Gebiet an. Dabei kommen in die überwiegend evangelisch geprägten Gebiete viele Katholiken.
Insbesondere die Städte im Rhein-Main-Gebiet expandieren stark. Das Evangelische Hilfswerk errichtet 1946 mit dem Heilsberg im Süden Bad Vilbels einen eigenen Stadtteil für heimatlose Menschen, der zur bundesweit beachteten Modelleinrichtung wird.

Auf der Suche nach Orientierung
Männerarbeit erfährt großen Zulauf
Die nach dem Tagungsort in der Wetterau benannten »Echzeller Richtlinien« geben der Männerarbeit im Mai deutschlandweit eine neue Basis. Propst Ernst zur Nieden leitet sowohl die Männerarbeit in der EKHN als auch in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Freiräume für den neuen politischen Geist
Gründung der Evangelischen Akademie
Im Februar 1946 entsteht in Echzell (Wetteraukreis) die Akademie als ein vom Evangelium geprägter Lern- und Diskussionsort für die Demokratie.
Am 15. Juli 1954 nimmt das Tagungshaus in Schmitten-Arnoldshain im Taunus mit einem Seminar zum Thema »Die Wiedervereinigung Deutschlands« seinen Betrieb auf. Unter dem ersten Direktor Dr. Hans Kallenbach und seinem Studienleiter Heinz Renkewitz entwickelt sich die Akademie zum überregionalen Treffpunkt und Diskussionsforum. Erster Vorsitzender des Konvents ist der Propst für Südnassau, Ernst zur Nieden.

Endlich wieder freie Medien
Evangelische Publizistik und Pressedienst
Nach einer Zeit der Lügen und des Irrwegs erscheint unter dem programmatischen Titel »Weg und Wahrheit« im Mai eine Kirchenzeitung für die EKHN.
Deren Herausgeber ist der Leiter des Verfassungsausschusses der EKHN, Prof. Dr. Martin Schmidt. Zeitgleich nimmt der Evangelische Presseverband Nassau-Hessen seine Arbeit wieder auf. Aus ihm wird später der Evangelische Pressedienst Hessen-Nassau.

Totalitarismus zurückgedreht
Kitas wieder bei den Gemeinden
Nachdem die Nationalsozialisten die meisten kirchlichen Kindergärten seit 1933 unter Aufsicht der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt gestellt, also gleichgeschaltet hatten,
werden die evangelischen Träger nun wieder zuständig für die evangelischen Kindertagesstätten. Die Zahl der evangelischen Kitas steigt auch sprunghaft an, weil viele Kommunen ihre Einrichtungen an kirchliche Träger übertragen.

Orientierung für die Jugend
Stadtjugendpfarrämter
Die Kirche will die vom Krieg gezeichnete Jugend begleiten und stärken. In Darmstadt wird Walter Rathgeber Jugend- und Sozialpfarrer.
Er gründet dort mit der „Hütte“ einen prominenten Jugendtreff. Stadtjugendpfarrämter in anderen Großstädten folgen. 1947 wird Heinz Czaia erster Landesjugendpfarrer in der EKHN.

Hunger nach Wissen
Gründung der Evangelisch-theologischen Fakultät an der Uni Mainz
Der von den Landeskirchen des Rheinlands, Hessens und Nassaus sowie der Pfalz beauftragte Superintendent Reinhard Becker gewinnt im April 1946 den Berliner Dozenten Wilhelm Jannasch (1888 – 1966) als ersten Professor und Gründungsdekan der Evangelisch-theologischen Fakultät.
Jannasch baut kontinuierlich die damals einzige theologische Fakultät auf dem Gebiet der EKHN auf, indem er für die Berufung von Theologen nach Mainz sorgt.
1947

Deutliches Schuldbekenntnis
»Darmstädter Wort«
Am 8. August treffen sich im Elisabethenstift Darmstadt die Mitglieder des Bruderrats der Bekennenden Kirche.
Eine Minderheit von ihnen verabschiedet das maßgeblich von Martin Niemöller mitformulierte »Wort des Bruderrats der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen Weg unseres Volkes«. Der Text geht über die Stuttgarter Schulderklärung von 1945 hinaus und benennt die eigene schuldhafte Verstrickung deutlich. Vor allem in der späteren DDR entfaltet er eine erhebliche Wirkungsgeschichte.
Die Geburtsstunde
Gründungssynode in Friedberg
Vom 30. September bis 1. Oktober treffen sich die Delegierten der Landeskirchentage Nassau, Hessen-Darmstadt und Frankfurt in Friedberg und erklären sich zur Verfassunggebenden Synode der EKHN. Am zweiten Tag wählt die Synode eine provisorische Kirchenleitung sowie Martin Niemöller zum ersten Kirchenpräsidenten und beauftragt einen Verfassungsausschuss. Dieser erarbeitet bis 1949 die Kirchenordnung.
Bestandsaufnahme
Generalvisitation
Im Zuge einer Generalvisitation besuchen Vertreter bis 1949 alle Kirchengemeinden, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Aus den sechs Visitationsbereichen des EKHN-Gebiets gehen später die Propsteien hervor. Die Visitationsvorsitzenden wählt die Synode später zu Pröpsten.

Vertrauter Klang der Normalität
Glocken kehren zurück
Viele der zu Rüstungszwecken eingezogenen, aber nicht eingeschmolzenen Kirchenglocken kehren von der zentralen Sammelstelle in Hamburg zurück.
Wo keine mehr da sind, unternehmen die Gemeinden trotz Armut und Not große Anstrengungen, um schnell neue Glocken – diesmal aus Stahl – gießen zu lassen. Den Klang der Glocken zu hören ist ihnen sehr wichtig. Die Bevölkerung nimmt großen Anteil an der Rückkehr der Glocken.
1948
Zeit der Buße
Gemeinsamer Untersuchungsausschuss zur Entnazifizierung
In der französischen Besatzungszone dürfen Verbände und Kirchen ihre Beschäftigten anhand eigener Kriterien selbstständig überprüfen. Die amerikanische Besatzung überprüft in ihrem Zuständigkeitsbereich zusätzlich selbst. Die drei Kirchenregionen der EKHN hatten für die Entnazifizierung seit 1945 eigene Untersuchungskommissionen, die die EKHN im November 1948 zusammenlegt. Kernpunkt der kirchlichen Überprüfung ist weniger die Feststellung von Schuld und Bestrafung, sondern ob sie reumütig bekannt wird und eine Neuorientierung glaubhaft ist.

Pfarrer als Arbeiter
Gossner Mission entwickelt Industriearbeit
Die in Berlin beheimatete Gossner Mission eröffnet in Mainz-Kastel einen zweiten Sitz.
Unter Leitung von Horst Symanowski wird er zur Brücke zwischen Kirche, Wirtschaft und ökumenischer Weltverantwortung. 1956 etabliert sich hier das Seminar für kirchlichen Dienst in der Industriegesellschaft. Es vermittelt Industriepraktika für Theologiestudenten und reflektiert die Lebensbedingungen bei industrieller Schichtarbeit. Aus dem Gossner Zentrum gehen 1967 das Amt für Mission und Ökumene der EKHN und das Amt für Industrie- und Sozialarbeit hervor, zu dem noch regionale Sozialsekretäre gehören. Am Standort in Mainz führt seit 2001 das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung die Arbeit fort.
Vertrauen in die neue Kirche
Bruderrat löst Geschäftsstelle auf
Die Bekennende Kirche integriert sich voll in die EKHN und gibt mit ihrer Geschäftsstelle die eigene Infrastruktur auf. Sie vertraut den Institutionen der EKHN, zumal ihre Vertreter viele Leitungsämter besetzen.

Sozialpolitisches Gewicht
Innere Mission entsteht
Aus den drei Landesverbänden in Nassau, Frankfurt und Hessen-Darmstadt konstituiert sich der Landesverband für Innere Mission in Hessen und Nassau Er wird zu einem der größten Träger diakonischer Einrichtungen im Bereich der EKHN.
Es steht bis 1954 unter der Leitung von Dr. Otto Fricke, dem Walter Rathgeber folgt. Die von den Nationalsozialisten unter staatliche Leitung gestellten Kindertagesstätten und diakonischen Einrichtungen wie die Heime Scheuern und die Nieder-Ramstädter Heime nehmen ihre kirchliche Arbeit wieder auf. Die evangelischen Werte erarbeitet sich das Personal in Seminaren. 1948 entsteht der Landesverein für Innere Mission in der EKHN als Träger diakonischer Einrichtungen.

Kirche on Air
Rundfunkstaatsverträge
Das Gesetz über den Hessischen Rundfunk verpflichtet 1948 den Sender zur gesellschaftlichen Unabhängigkeit und räumt den Kirchen Sendezeit für „Gottesdienst und Erbauung“ ein.
1951 folgt der Staatsvertrag über den Südwestfunk, der den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Institutionen das Recht einräumt “ihre Auffassungen in zweckentsprechenden Sendezeiten des Südwestfunks angemessen zu vertreten“. Damit ist im Gebiet der EKHN die bis heute gültige Rechtsgrundlage für die Verkündigung im Rundfunk geschaffen. Die EKHN benennt 1948 Pfarrer Werner Hess, der später Intendant des hr wird, als ersten Rundfunkbeauftragten. Er bereitet zusammen mit einem Arbeitskreis die Morgenfeiern vor. Daraus geht 1964 das Liturgische Studio hervor.

Global vernetzt
EKHN gründet den Weltkirchenrat mit
Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs gründen Delegierte von über 140 Kirchen den Ökumenischen Weltkirchenrat mit Sitz in Genf als Institution für Frieden und Versöhnung.
Die EKHN gehört zu den Gründungskirchen. Mit ermöglicht hat dies ihr Kirchenpräsident Niemöller, der als Vertreter eines neuen demokratischen Deutschlands international unermüdlich unterwegs war. Niemöller wird 1961 einer der Präsidenten des Weltkirchenrats.
1949

Talar für Eva I
Frauen im Pfarramt
Mit der Vikarinnenordnung lässt die Kirchenleitung Frauen als Vikarinnen zum Pfarrdienst zu – im übergemeindlichen Dienst, mit 80 Prozent des Gehalts, im Angestelltenverhältnis und nur unverheiratet.
Als Erste ordiniert die EKHN 1950 Elisabeth Buchholz und Erica Küppers. Erste Vikarin mit einem Gemeindeauftrag wird 1950 Katharina Staritz. Sie übernimmt auch die 1950 gegründete Stelle für die Frauenarbeit in Frankfurt, die das erste offizielle Amt für Frauen ist. Ab 1955 erhalten ordinierte Männer (Pfarrer) und Frauen (Vikarinnen) gleiches Gehalt.

Nach Schweigen und Schuld
Christlich-jüdische Zusammenarbeit
Viereinhalb Jahre nach Ende des Massenmords an Juden entsteht im November unter maßgeblicher Mitarbeit des EKHN-Pfarrers Dr. Adolf Freudenberg in Bad Nauheim der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Es wird von denen in Deutschland 88 geben, zwölf davon in der EKHN. Freudenberg wird der evangelische Vorsitzende und später Ehrenpräsident. Er gründet im Oktober 1953 in Bad Vilbel auch den Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau, der Pfarrer*innen und Religionslehrer*innen für ein neues theologisches Denken gewinnen will.

Beten mit den Siegerinnen
Erster Weltgebetstag mit deutschen Frauen
Erstmals in Deutschland laden in Wiesbaden amerikanische Frauen deutsche Frauen zur gemeinsamen Feier des Weltgebetstags ein. Unter ihnen ist Elly von Kuhlmann, die Vorsitzende der Frauenhilfe in Nassau.

Ost-West-Solidarität
Partnerschaft mit Kirchenprovinz Sachsen
EKHN und Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck vereinbaren eine Partnerschaft mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit Sitz in Magdeburg.
Organisiert vom Evangelischen Hilfswerk nehmen innerhalb kurzer Zeit drei Viertel der 1.000 EKHN-Gemeinden Kontakt zu einer Partnergemeinde auf, um zu helfen und Informationen auszutauschen. Mit dem Ende der deutschen Teilung lösen sich die meisten Partnerschaften auf.
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