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  • Glaube

„Der Mensch denkt und Gott lenkt“

veröffentlicht 30.09.2023

von Martin Vorländer

Alles war perfekt geplant, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Aber dann kam alles ganz anders. Dabei gehen in der Bibel der freie Wille des Menschen und Gottes Fügung Hand in Hand.

Viele Menschen glauben an eine jenseitige Macht, die das Leben bestimmt. Den Glauben daran gibt es in den verschiedenen Religionen und Kulturen: Schicksal, Kismet, Karma, Fügung. Der Gedanke, dass es so etwas gibt, kann entlasten oder blockieren.

Füreinander bestimmt

„Ich habe nicht mehr an die Liebe geglaubt“, erzählt Anna. „Als meine letzte Beziehung in die Brüche ging, dachte ich: Okay, das war’s. Ich und die Männer, das soll nicht sein.“ Die Anfang 30-Jährige hatte sich eingerichtet, ein glücklicher Single zu sein mit einer Handvoll Patenkindern, die sie nach Strich und Faden verwöhnen kann. „Und dann ist auf einmal Felix in mein Leben getreten“, strahlt sie. „Ich habe ihn nicht gesucht und doch gefunden. Ich bin sonst nicht so, aber da glaube ich: Es war Fügung. Es sollte so sein. Wir sind füreinander bestimmt. Klingt abgedroschen, aber so fühlt es sich an.“

Hiobsbotschaften

Viele Liebespaare erzählen so von ihrem Kennenlernen. „Eigentlich hatte ich an dem Abend keine Lust auf Party. Dann bin ich doch hingegangen und da stand er!“ – „Wenn ich den anderen Weg genommen hätte, wären wir uns nicht begegnet“. Irgendwie scheint eine unsichtbare Hand im Spiel gewesen zu sein, die die beiden zueinander brachte. Das Wort Zufall bekommt einen neuen Klang: „Es ist uns zugefallen.“ Gut verständlich, wenn es um Liebe und Glück geht. Aber was ist, wenn es einem schlecht ergeht? Eine Krankheit, ein großer Verlust, eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Ist das auch vorherbestimmt? Und wenn, von wem?

Böses Omen

Ödipus ist das klassische Beispiel für einen Menschen, dem Schreckliches vorhergesagt wird. Er versucht alles, um seinem Schicksal zu entkommen und erfüllt es gerade dadurch. Ödipus ist eben erst geboren, da spricht das Orakel von Delphi: Dieses Kind wird seinen Vater erschlagen und seine Mutter heiraten. Ödipus‘ Eltern erschrecken. Sie setzen den Neugeborenen im Gebirge aus. Doch der kleine Ödipus überlebt. Zieheltern nehmen ihn auf. Sie sagen ihm nicht, dass sie ihn adoptiert haben. Als junger Mann hört Ödipus von dem bösen Omen, das auf seinem Leben lastet. Um alles in der Welt will er sich und seine vermeintlichen Eltern davor retten. Er verlässt die Stadt und geht ins Exil.

Dem Schicksal nicht entkommen

Genau dadurch trifft Ödipus auf seinen leiblichen Vater. Für ihn ein Fremder, den er in einem Handgemenge erschlägt. Ohne sie zu kennen, begegnet er danach seiner Mutter. Es kommt, wie es kommen muss: Die beiden heiraten. Am Ende erfährt Ödipus, dass er unwissentlich Vatermord und Inzest begangen hat. Er sticht sich die Augen aus. Das Schicksal ist unausweichlich, der Mensch ist ihm ausgeliefert. Für diese Ur-Erfahrung steht Ödipus. „Fatalismus!“, protestieren moderne Denkerinnen und Theologen. Der Mensch ist frei und für seine Taten selbst verantwortlich.

Der freie Wille und Gottes Fügung

Der freie Wille des Menschen und Gottes Fügung. In der Bibel gehen die beiden Hand in Hand. Gleich auf der ersten Seite der Bibel steht der Glaube: Gott hat die Welt gut geschaffen. Jede Pflanze, jedes Tier und natürlich auch der Mensch ist kein Produkt des Zufalls, keine Laune der Natur. Gott hat jedes Ding und Lebewesen gewollt und ihm seinen Platz im Leben gegeben.
Gott stattet Adam und Eva, das erste Menschenpaar, mit der Freiheit aus. Die nutzen die beiden und vergreifen sich an den Früchten vom Baum der Erkenntnis, die nicht für sie bestimmt sind. Die Geburtsstunde der Freiheit, kann man sagen. Aber eine Freiheit, die Gott in seinen Schöpfungsplan eingebaut hat. Also doch alles vorherbestimmt?   

Meine Zeit in Gottes Händen

„Alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war“, betet ein Mensch im Psalm 139. Gott kann mein ganzes Leben überschauen. Er hat mich ins Leben gerufen und kennt auch meine Todesstunde. Was für mich nacheinander geschieht, hat Gott in Einem vor Augen. Ich kann mich entscheiden, was ich tue oder lasse, welchen Weg ich einschlage. Aber keiner meiner Tage geht verloren. Meine Zeit steht in Gottes Händen, so drückt es der Psalm 31 aus.
Jesus lehrt seine Jünger, Gott als liebevollen Vater anzusprechen. Im Vaterunser, dem christlichen Gebet schlechthin, betet Jesus zu Gott: „Dein Wille geschehe!“ (Matthäus 6,10) Ein solches Gottvertrauen kann entlasten: Ich muss den Sinn meines Lebens nicht selber herstellen. Das setzt Kräfte frei, die Zeit, die mir gegeben ist, zu gestalten. Jesus Christus lehrt: Gott lenkt unsere Geschichte und unser Leben auf Wegen der Liebe. Das aber sind immer Wege der Freiheit.

Alles ist für etwas gut?

Der Mensch und seine Freiheit sind nicht an allem Bösen in der Welt schuld. Unser Gehirn versucht zwar fortwährend, Sinnzusammenhänge zu finden. Und wenn es keinen Sinn gibt, dann konstruieren wir einen. „Alles ist für etwas gut“ – „In der Krise liegt die Chance“. Solche Sätze sollen Mut machen. Sie stimmen aber nicht immer. Manches ist für nichts gut. Eine Krise ist eine Krise. Ich kann darin auch untergehen. Es gibt Schicksalsschläge, die lassen sich nicht erklären. Manchen hilft dann der Gedanke, den Arno Pötzsch formuliert und den Margot Käßmann stark gemacht hat: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“

„Binde dein Kamel an und vertraue auf Allah“

„Kismet“ heißt das Schicksal im Türkischen. Ein Wort dafür, wenn man sich ein Ereignis nicht rational erklären kann. „Warum hat es nicht geklappt? Ich habe doch alles dafür getan“, klagt einer über eine verpasste Chance. „Es war eben nicht dein Kismet“, tröstet ihn sein Freund. Der Gedanke, dass es eben nicht sein sollte, kann gelassen machen und auf eine andere Gelegenheit hoffen lassen.
„Allah ist der Allmächtige und Allweise“, lehrt der Koran (Sure 57). „Allah macht lebendig und lässt sterben. Er hat zu allem die Macht.“ Das gilt nach dem Koran für die ganze Schöpfung. Dem einzelnen Gläubigen verheißt er: „Allah ist mit euch, wo immer ihr auch seid. Und was ihr tut, sieht Allah wohl.“ Nichts geschieht ohne Gottes Willen, so der Glaube im Islam.
Nach einer Überlieferung fragt ein Mann den Propheten Mohammed: „O Gesandter Allahs, soll ich mein Kamel anbinden oder vertrauen?“ Mohammed antwortet: „Binde es an und vertraue auf Allah!“ Gottvertrauen ist gut. Aber es entbindet nicht von der eigenen Verantwortung.

Der Glaube an Fügung kann zum Aberglauben werden

Schicksalsgläubigkeit kann fatal sein. Adolf Hitler pervertierte den Begriff und sprach von der „Vorsehung“, die ihn zum Führer bestimmt habe. Jahrtausende lang betrachtete der Mann die Frau als ihm untertänig. Das habe der Schöpfer so vorgesehen. „Der Mann ist das Haupt der Frau“, stehe in der Bibel (Epheser 5,23). Die Männer übersahen dabei mit Fleiß, dass Gott beide Geschlechter zu seinem Ebenbild geschaffen hat (1. Mose 1,27).  
Der Glaube an Gottes Fügung kann zum Aberglauben werden. Ob die Ampel auf Grün schaltet oder ich denselben Pullover trage, mit dem ich schon einmal eine Prüfung bestanden habe, solche willkürlichen Zeichen werden zum Wink des Schicksals erklärt.

Es kann mir viel passieren, aber…

Die Bibel ist von dem Glauben getragen: Gott hat den Menschen mit Kreativität begabt. Die soll und darf der Mensch nutzen, auch wenn er dabei mal daneben liegt. Auch Schlechtes kann Gott zum Guten wenden. Mit meinen Fehlern und Irrtümern wird Gott genauso fertig wie mit dem, was ich gut mache. Es kann mir viel passieren, Gutes und Schlechtes. Doch dahinter steht kein böser Plan, sondern ein liebender Gott, der bei mir ist. 

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