Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Trauriger Junge wird getröstet

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Nähe hilft, mit existenziell schwierigen Situationen umzugehen

Wie sage ich es meinem Kind? Wenn ein Elternteil sterben muss

veröffentlicht 24.10.2023

von Rita Haering

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland beträgt mittlerweile über 80 Jahre. Trotzdem kommt es vor, dass Eltern von kleinen Kindern unheilbar erkranken. Wie kann man trotz allem die Seele seine Kinder möglichst gut schützen?

Wenn Eltern unheilbar erkranken, sind sie selbst in einer schwer zu ertragenden Situation. Noch schwieriger wird es, wenn sie ihre Kinder über ihre Krankheit und ihr nahendes Lebensende aufklären müssen. Die Not der Kinder und ihrer Eltern hat Mechthild Schroeter-Rupieper erkannt und die Familientrauerarbeit in Deutschland begründet. Um zu veranschaulichen, wie sehr Kindern eine einfühlsame Begleitung helfen kann, erinnert sie sich an eine Familie, die mit außergewöhnlich harten Umständen konfrontiert war:  „Die Mutter der damals 15-jährigen Lisa* und ihrem 11-jährigen Bruder Simon* bekam die Diagnose Leukämie und verstarb drei Tage später an diesem Krebs.“ Kurze Zeit später habe der Vater einen Schlaganfall erlitten, an dessen Folgen sei er ein halbes Jahr später verstorben. Trotz dieser Familientragödie seien beide Kinder nicht gebrochen, sondern stark aus dieser tragischen Zeit herausgekommen. Mechthild Schroeter-Rupieper hat den Eindruck, dass die Geschwister heute mit beiden Beinen im Leben stehen, Freundschaften pflegen und erfolgreich die Schule absolvieren.

Ziel sollte also sein, dass Kinder an der Krankheit und am Tod des Elternteils nicht verzweifeln, sondern lernen mit ihren Ängsten und der Trauer um den geliebten Menschen umzugehen. Das heißt nicht, seine Gefühle zu unterdrücken. Sondern es geht darum, mit der Trauer zu leben, ohne dass sie einen übermannt – die Trauer gewissermaßen kontrollieren zu können.

Auch Pfarrerin Dr. Carmen Berger-Zell ist beruflich mit den Themen Tod und Sterben konfrontiert. Sie war viele Jahre in der Notfallseelsorge aktiv und ist heute bei der Diakonie Hessen für den Bereich Hospizarbeit und Sterbebegleitung zuständig.

Durch ihre Erfahrungen aus ihrer beruflichen Praxis habe beide Frauen Empfehlungen zusammengestellt, um belastete Familien zu unterstützen.

Mit dem Tod vertraut machen

Reden über den Tod ist heutzutage nur selten Teil der Erziehung, weil Eltern ihre Kinder vor dessen Schrecken schützen möchten. Dennoch schlägt Pfarrerin Carmen Berger-Zell vor, schon früh, auch ohne konkreten Anlass, Kinder mit dem Tod vertraut zu machen. Das macht es in der Situation, in der er Realität wird, einfacher. Kinder sind besser gegen die Unwiederbringlichkeit des Todes geschützt, wenn sie vorbereitet sind.

Auf eine einfühlsame Vorbereitung setzt auch Mechthild Schroeter-Rupieper. Vor allem kleine Kinder müssten erst einmal verstehen, was Tod bedeutet, weil sie nicht zwischen „Mama ist für immer weg“ und „Mama ist kurz einkaufen“ unterscheiden könnten. Die Eltern seien eine so große Standfeste im Leben, dass es unvorstellbar sei, dass sie nicht mehr da sein könnten. Deshalb ist es wichtig, Kindern zu erklären, was Tod ist und was er bedeutet. Das kann zum Beispiel über Bilderbücher funktionieren oder über verstorbene Haustiere.

Rechtzeitig kommunizieren

Die Nachricht vom nahenden Tod eines Elternteils sollte möglichst von einer Vertrauensperson überbracht werden. Am besten bietet der betroffene Elternteil das Gespräch an. Das sollte möglichst zeitnah nach der Diagnose geschehen, weil Kinder die Unruhe in der Familie spüren. Wenn diese Stimmung unbegründet ist, machen sich Kinder schnell Sorgen und suchen den Fehler oft bei sich.

Wie sage ich es meinem Kind?

Das Wichtigste ist, Sicherheit zu vermitteln. Carmen Berger-Zell schlägt vor, das Kind in den Arm zu nehmen. Das gibt dem Kind das Gefühl, geborgen zu sein. Das Gefühl von Sicherheit können Eltern laut  Mechthild Schroeter-Rupieper unterstützen, wenn sie dem Kind versprechen, es über den Krankheitsverlauf auf dem neuesten Stand zu halten. Man sollte jedoch keine Zeitangaben zum wahrscheinlichen Todeszeitpunkt machen. Das lässt Kinder für den angegebenen Zeitraum nicht zur Ruhe kommen, weil immer etwas passieren könnte. Verspricht man Kindern, sie regelmäßig zu informieren, gibt es ihnen die Gewissheit, dass Mama bzw. Papa heute höchstwahrscheinlich nicht sterben wird.

Unterstützen, um Gefühle zu verarbeiten

Wenn Kinder verstanden haben, dass der Tod auch bedeutet, ein Elternteil für immer zu verlieren, können Ängste aufkommen. Manche Kinder halten sich deshalb die Ohren zu, andere werden aggressiv und wieder andere müssen weinen. Hier soll individuell darauf geachtet werden, wie man den Kindern Halt geben kann. Zum Beispiel kann der Verweis auf das verbleibende Elternteil oder die Großeltern, die sich kümmern werden, Existenzängste lindern. Im Fall von Lisa und Simon hat der Glaube und die Gemeinschaft in der Kirche vor allem Lisa Halt gegeben und sie durch die schwere Zeit begleitet. Auch die früh einsetzende Trauerbegleitung hat ihnen geholfen, mit der Situation zurecht zu kommen. Für die Trauer sollte es immer ein Ventil geben, über das sie sich ausdrücken kann. Bei Aggressivität kann Schlagzeug spielen helfen, bei Verzweiflung hilft Weinen oder bei unaufhörlichem Weinen kuscheln mit dem kranken Elternteil.

Nach dem Tod

Nach dem Tod des Elternteils ist es wichtig, dass Kinder den Tod durch Begreifen realisieren und nicht nur durch Worte. Dazu sollten Kinder ganz bewusst mit zur Aufbahrung und Beerdigung genommen werden. Wenn es die Kinder wollen, können sie auch den kalten Körper der Mutter oder des Vaters berühren oder streicheln. Das klingt im ersten Moment irritierend. Für den Trauerprozess ist das aber sehr hilfreich, denn dieses Begreifen sorgt im Nachhinein für mehr Verständnis der Situation. Bei der Aufbahrung können sich die Kinder, der Partner und die Angehörigen noch einmal verabschieden. Wenn der Sarg im Boden versinkt, hilft das dem Begreifen. Das Verstehen von Tod ist so wichtig, weil gerade kleine Kinder, die nicht begriffen haben, dass ihr Elternteil gestorben ist, immer in der Erwartung leben, dass es bald wieder zurückkommt. Im Alter zwischen sechs und acht Jahren kommt der Punkt, an dem sie verstehen, dass ihr verstorbenes Elternteil nicht wiederkommt. Das ruft immer wieder Phasen der Trauer hervor. Erst in der Pubertät wird Jugendlichen die Dimension ihres Verlustes endgültig bewusst.

Um den Verlust zu verarbeiten, sollte dieses Ereignis auch reflektiert werden. Dazu kann zum Beispiel eine Grabkerze bemalt werden. „Auf die Innenseite des Deckels der Kerze kann man dann eine Geheimbotschaft an den Verstorbenen schreiben“, schlägt Mechthild Schroeter-Rupieper vor. Genauso kann man einen Brief mit in den Sarg oder das Grab geben, in dem das Kind etwas für seine/n Mutter oder Vater aufschreiben kann. Kleine Kinder können ihrem Elternteil auch ein Kuscheltier oder besondere Erinnerungsstücke mitgeben.

Umgang mit Trauer

„Trauern und Weinen in der Öffentlichkeit wird in unserer Gesellschaft tabuisiert“, wird von Mechthild Schroeter-Rupieper bemängelt. „Wenn ich ein Kind bekomme wird erwartet, dass ich meine Freude darüber teile. Wenn  ich einen Menschen verliere, darf ich nicht weinen. Das passt nicht zusammen.“ Es ist wichtig, die Trauer nicht zu unterdrücken. Sonst kann es passieren, dass man nie wirklich mit dem Verlust leben kann. Mit Kindern zu reden und ihnen zu erklären, dass traurig sein natürlich und in Ordnung ist, ist essentiell, um ihnen das Trauern zu erleichtern.

Durch die gute Betreuung der Großeltern und Mechthild Schroeter-Rupieper stehen Lisa und Simon stabil im Leben. Simon strebt an, professioneller Musiker zu werden. Lisa hat den Weg in die Heilpädagogik gefunden und arbeitet mit Mechthild Schroeter-Rupieper zusammen, um anderen Kindern in der gleichen Situation mit ihren Erfahrungen zu helfen.

 *Namen geändert und d. Red. bekannt

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