Interview
„Die Sonntagsruhe steht unter besonderem Schutz“
Esther Stosch
04.09.2019
epd
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Der hessische Sozialminister Kai Klose (Grüne) hat das geplante neue Ladenöffnungsgesetz gegen die Kritik von Wirtschaft und Kommunen verteidigt. Mit den neuen Bestimmungen werde Planungssicherheit für die maximal vier Verkaufsöffnungen am Sonntag pro Jahr geschaffen. Die Sonntagsruhe stehe unter dem Schutz des Grundgesetzes. „Deshalb muss jede Ausnahme davon einen gewichtigen Grund haben“, sagte der Minister dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Landesregierung hat immer wieder eine Evaluierung des hessischen Ladenöffnungsgesetzes angekündigt, also eine gründliche Auswertung seiner Wirkung in der Praxis. Jetzt haben Sie einen neuen Entwurf vorgelegt, der fast alles beim Alten lässt. Hat sich das Gesetz wirklich bewährt, obwohl so häufig die Gerichte das letzte Wort hatten?
Kai Klose: Wir haben die Evaluation natürlich durchgeführt und sehr gegensätzliche Positionen dazu erhalten, von der völligen Abschaffung bis zur völligen Freigabe des Sonntagsverkaufs. Unser oberstes Ziel ist mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten für bis zu vier verkaufsoffene Sonntage je Kommune und Jahr. Deshalb mag es auf den ersten Blick nicht viele Veränderungen geben, die sind aber bedeutend. Denn dass verkaufsoffene Sonntage gerichtlich gekippt wurden, lag nicht am Gesetz, sondern daran, dass der Rahmen, der durch die Verfassung und die Rechtsprechung vorgegeben ist, nicht beachtet wurde. Die Sonntagsruhe hat in Deutschland Verfassungsrang und steht unter besonderem Schutz. Deshalb muss jede Ausnahme davon einen gewichtigen Grund haben. Eine Sonntagsöffnung ohne einen solchen Anlass ist nicht möglich, da ist die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig. Im Übrigen ist die Zahl der durchgeführten verkaufsoffenen Sonntage in Hessen deutlich größer als die der von Gerichten untersagten.
Die sind dann wohl meist in kleineren Städten?
Klose: Es kommt immer darauf an, wie gut sie begründet sind. Gescheitert sind verkaufsoffene Sonntage vor Gericht, wenn die Grundsätze der Rechtsprechung nicht beachtet wurden, etwa nicht deutlich gemacht wurde, dass die Ladenöffnung ein Zusatz zum jeweiligen Fest ist, wenn die Besucherprognose gefehlt hat oder der Radius der Ladenöffnungen im Verhältnis zur Anlassveranstaltung zu groß gewählt war. Das sind alles Dinge, die so von der Rechtsprechung vorgegeben wurden.
Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf wurde den Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet. Vor allem die Wirtschaft einschließlich des Einzelhandels, aber auch die Kommunen haben sich sehr unzufrieden geäußert, weil sie die gesetzlich möglichen vier verkaufsoffenen Sonntage auch in Zukunft nicht gesichert sehen. Warum haben sie den Gesetzestext dennoch praktisch unverändert dem Landtag vorgelegt?
Klose: Wir haben an einigen Stellen auch Änderungen vorgenommen, nicht aber im Grundsatz. Dieser Gesetzentwurf schafft definitiv mehr Planungssicherheit. Das Ziel teilen wir ja mit dem Einzelhandel, den Kammern, den Kommunen, und das ist auch der Auftrag des Koalitionsvertrags. Dazu trägt bei, dass die Freigabeentscheidung für eine Sonntagsöffnung künftig drei Monate im Voraus veröffentlicht werden muss, so dass die Gefahr ganz kurzfristiger Gerichtsentscheidungen deutlich verringert wird. Und dazu trägt auch bei, dass Widersprüche keine aufschiebende Wirkung mehr haben werden. Außerdem werden wir den Kommunen mit einer Handreichung dabei helfen, ihre Freigabeentscheidungen besser zu begründen, unter anderem durch eine Checkliste für die möglichst rechtssichere Freigabe einer Sonntagsöffnung.
Der Hessische Städtetag sieht die in Aussicht gestellte Rechtssicherheit aber weiter nicht gegeben. Und zumindest die größeren Kommunen stellen auch kaum noch Anträge für die Ladenöffnung am Sonntag. Wäre es da nicht ehrlicher, gleich auf die vier verkaufsoffenen Sonntage im Gesetz zu verzichten?
Klose: Keineswegs. Uns eint ja das Ziel, die bis zu vier verkaufsoffenen Sonntage planungssicherer zu ermöglichen. Im Jahr 2016 haben sich knapp die Hälfte der Kommunen an einer Umfrage beteiligt und für die Jahre 2012 bis 2016 insgesamt 1.616 durchgeführte verkaufsoffene Sonn- und Feiertage in Hessen gemeldet, die reale Zahl wird also noch höher sein. Dem stand eine zweistellige Zahl vor Gericht gescheiterter Sonntagsöffnungen gegenüber.
Vermutlich wird es ja im zuständigen Landtagsausschuss noch eine Anhörung geben, bevor das Parlament das neue Gesetz bis zum Jahresende verabschiedet. Wie offen sind sie noch für Korrekturvorschläge?
Klose: Meine Erfahrung als langjähriger Abgeordneter sagt mir, dass man aus Anhörungen immer schlauer herauskommt, als man hineingegangen ist. Am Ende entscheidet der Gesetzgeber Landtag. Aber natürlich bewegt sich auch das Parlament innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Wir sehen, dass in Nordrhein-Westfalen gerade die Aufnahme des Begriffs des „öffentlichen Interesses“ in den Gesetzestext zu mehr Unsicherheit bei den Kommunen geführt hat.
Wie wichtig sind Ihnen die Begrenzung der Zahl verkaufsoffener Sonntage auf vier im Jahr, der Ausschluss der Adventssonntage und einer Reihe kirchlicher Feiertage davon sowie die Festlegung, dass die Ladenöffnung erst nach der Zeit der Hauptgottesdienste beginnt?
Klose: Unabhängig davon, wie wichtig mir das ist: Der Schutz des Sonntags hat in Deutschland Verfassungsrang. Ein Tag in der Woche ist der Ruhe, der Familie und gegebenenfalls auch dem Besuch eines Gottesdiensts vorbehalten. Also gelten diese Vorgaben, sie werden in der aktuellen Debatte ja auch nicht infrage gestellt.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft ver.di hat jetzt sogar eine Einschränkung der Ladenöffnungszeiten auf maximal bis 20 Uhr montags bis freitags und bis 16 Uhr am Samstag gefordert. Wie stehen Sie dazu - auch mit Blick auf den rund um die Uhr verfügbaren Onlinehandel?
Klose: Eine neuerliche Einschränkung der Öffnungszeiten an den Werktagen entspräche nicht der Lebensrealität. Auch die Beschäftigten anderer Bereiche sollen die Möglichkeit haben, nach der Arbeitszeit einkaufen zu gehen. Gerade, wenn beide Elternteile berufstätig sind, sind zum Beispiel der Freitagabend oder der Samstag wichtige Tage. Wir haben in Hessen ein vergleichsweise liberales Gesetz. Der Einzelhandel darf genau wie der Onlinehandel werktags von 00 bis 24 Uhr geöffnet sein. Gerade deshalb ist der Schutz der Sonntagsruhe besonders wichtig.
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