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Gastbeitrag – Teil 3

Licht auf dem Berge oder Salz der Erde? Missionarische Ausrichtung braucht Außenorientierung

Simon GrossnerTalkrunde im GoSpecial-GottesdienstDie evangelische Andreasgemeinde in Eschborn hat neue Formen im Gottesdienst integriert, wie beispielsweise Talkrunden

Der Kirchenraum war zu klein, um dem Ansturm auf die „Go Special-Gottesdienste“ in der evangelischen Andreasgemeinde in Eschborn-Niederhöchststadt zu verkraften. Bis heute werden die religiösen Events im Großkino gefeiert. Doch wie gelingt es der Kirchengemeinde, weiterhin ihre nach außen gerichtete missionarische Ausrichtung auszubauen und gleichzeitig ihre Glaubensgrundlage und Identität zu pflegen? Darüber schreibt Dr. Henning von Vieregge in diesem Gastbeitrag im 3. Teil der Serie „Kirchendämmerung oder Morgenröte?“.

Schaut man auf die  Eschborn- Niederhöchstadter Andreasgemeinde, so bietet sie in ihrer Entwicklung und auch aktuell ausreichend Stoff zur Richtungsdiskussion unter dem Gesichtspunkt von Profilierung und Öffnung. Seit 1989 hatte sie Dr. Klaus Douglass zwei Jahrzehnte lang  als Pfarrer geprägt. Er berichtet über seine Zeit auf seiner Homepage.

Gottesdienste im Kinosaal

Bekannt wurde die Gemeinde durch ihre Go Special Gottesdienste, die bis heute Kirchendistanzierten den Weg ebnen sollen: religiöse Events in einem Großkino im Main-Taunus-Zentrum in vierwöchigem Abstand. Dies war und ist aber nur eine Facette von vielen. Aus Spenden werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlt, die im eigenen Gemeindeaufbauverein angestellt sind. Sie brachten und bringen  Wachstum auf vielen Gemeindefeldern zustande.

Weite trotz räumlicher Enge

Während einer Reihe von Jahren hieß das Selbst- und Zielbild „Licht auf dem Berg“. Versucht wurde, den „Expo-Wal“ (Kirchengebäude in Walform mit lebendigem spirituellem Angebot) der Weltausstellung 2000 aus Hannover nach Eschborn zu holen als sichtbaren Ausdruck einer zwar im Lokalen verwurzelten, aber weit in die Region hineinstrahlenden  Kirche. Der Wal ist heute immer noch in Hannover (nicht zu verwechseln mit dem Christus-Pavillon, der nach Thüringen ins  Kloster Volkenroda transportiert wurde) und die Andreasgemeinde ist trotz einiger räumlicher Erweiterungen immer noch mit beengten Raum-Verhältnissen konfrontiert.

Vielfältiges Gemeindeleben mit zahlreichen Angeboten und Aktivitäten

Die Gemeinde hat heute ein eigenes Buchgeschäft („Der 7. Himmel“), mehrere Theater- und Musicalgruppen, eine Familienbildungsstätte , eine äußerst lebendige Beziehung zu einer großen Gemeinde in Nairobi, eine vitales Seniorenangebot mit herausragender Demenzarbeit, ein Konfirmandenangebot mit Sogwirkung in die Nachbargemeinden, fast 30 Hauskreise ohne Einbeziehung von Hauptamtlichen sowie differenzierte Gottesdienstangebote, sonntäglich drei für Erwachsene und vier für Kinder und Jugendliche.

Am Scheideweg: Was tun, wenn man ein Raumproblem hat?

Nun sieht sich die Gemeindeleitung am Scheideweg: Soll sie vorrangig versuchen, den ewig einengenden Raummangel zu beheben (Neubau? Ausbau?)  oder soll sie ihre Kraft in den Ausbau ihrer Netzwerke stecken? Soll sie ihre Fühler tiefer in die lokale und regionale Bürger- und Zivilgesellschaft ausfahren?  Soll sie, mit der Bergpredigt gefragt, eher Salz der Erde als Licht auf dem Berg sein?

Bergpredigt als Richtschnur für Entscheidungen

In jeder Kirchengemeinde werden mit jedem Beschluss, bei dem es um Ressourcenverwendung geht, die Gewichte zwischen diesen beiden Bildern aus der Bergpredigt in die eine oder andere Richtung verschoben. Mehr nach innen oder mehr nach außen wirken, mehr Aktivitäten mit und für Schwache oder mit und für Starke, mehr soziales oder mehr kulturelles oder mehr politisches Engagement, mehr mit oder mehr ohne externe Partner, das sind nur einige Spannungsbeziehungen.

Eigene Identität entwickeln und sich für bürgerschaftliches Engagement öffnen

Wir plädieren für einen Perspektivwechsel: Wer aus der Sicht der immer mehr an Bedeutung gewinnenden lokalen Bürger- und Zivilgesellschaft auf Kirche schaut, kann die Frage beantworten, unter welchen Voraussetzungen vermehrter christlicher Einsatz erwünscht ist: es geht um die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit von Kirche, im konkreten lokalen Fall von Kirchengemeinde vor Ort. Wer nur sein eigenes Ding machen will, wird bürgerschaftlich immer weniger  benötigt. Wer sich andererseits in seiner Identität vollständig aufgibt, ist kein brauchbarer Akteur.

Herausforderung: sich auf identitätsstiftende Glaubenswurzeln beziehen

An dieser Stelle kann nicht in der ganzen Problembreite  entfaltet werden, wie das Miteinander im lokalen Bezugsfeld zu einer win-win Situation gestaltet werden kann, aber es ist deutlich: Der Weg ist für keine Kirchengemeinde ohne Risiko. Könnten der innere Zusammenhalt untereinander und die Ausrichtung auf die identitätsstiftende Mitte, wie zumeist der sonntägliche Gottesdienst eingeschätzt wird, verloren gehen? Und dann versickert das Salz in der Erde, spurlos und ohne dass bewusst wird, von wem es stammt und was es bewirkt. Der Rückzug auf die Option „Licht auf dem Berg“ ist da verlockend. Polemisch gesprochen: Aus dem Licht auf dem Berg wird all zu oft eine Tranfunzel. Die Selbstzufriedenheit muss das nicht stören, weiß man doch: so ist der Trend (angeblich).

Eigenes Potential realistisch einschätzen – konstruktive Impulse annehmen

Auch der Hinweis, hier sei die einzelne Kirchengemeinde doch schnell überfordert, ist richtig. Das anglikanische Beispiel der „fresh expressions“ (missionarisch ausgerichtete Gemeinde mit Ausrichtung auf Menschen, die bisher kaum Bezug zu Glauben und Kirche hatten) aktualisiert die Frage, welche missionarischen Wachstumsimpulse ergänzend möglich und sinnvoll wären. Hierzulande leistet das EKD-Zentrum für Mission in der Region (ZMiR) gute Arbeit.  Aber es kann nur unterstützen.

Mut, die Isolation aufzubrechen

Das Kernproblem der lokalen Zivil- und Bürgergesellschaft ist: Es ist eine Konstruktion. Die Wirklichkeit bietet ein Konglomerat von Initiativen, Aktionen und Vereinen. Hier liegt die Chance des Akteurs Kirchengemeinde. Sie kann Raum bieten für  ein funktionierendes Miteinander.

Zivilität: Anstand, Herzensbildung und Entgegenkommen als Handlungsmaximen

Es ist nicht einfach, die potentiellen Akteure eines stärkeren Zusammenwirkens vor Ort zu identifizieren. Das beginnt mit der räumlichen Bestimmung. Rund um den Kirchturm, rund ums Rathaus, Quartier, Sozialraum oder was?  Und wer bildet „Kirche“ neben der Kirchengemeinde im abgesteckten Raum? Und wer Zivilgesellschaft? Im Begriff der Zivilgesellschaft steckt ein doppelter Ansatz. Sie bildet sektoral in Abgrenzung zu Politik und Wirtschaft eine dritte Arena, die sich durch freiwilliges Engagement, Philanthropie und Visionen vom guten Leben charakterisieren lässt. Und sie hat eine ethische Komponente: Zivilität als Handlungsmaxime. Zivilgesellschaftliche Entwicklung geschieht aus der Mitte der Gesellschaft. Kirche mit Anderen ist folglich mit allen, den Schwachen und den Starken.

Beziehungen zur Lokalpolitik pflegen

In der Andreasgemeinde in Niederhöchstadt finden sich sowohl auf der zurückgelegten Wegstrecke als auch in der langfristig eingenommenen Perspektive („Vision 2030“, die Diskussion läuft in der Gemeindeleitung)  spannende Antworten zu den hier aufgeworfenen Fragen. Gewachsen ist die Bereitschaft, die Erfahrungen zu teilen: innerhalb der Kirche im regionalen Raum, mit der Diakonie und mit der Bürgergesellschaft im Aufbau räumlich enger nachbarschaftlich-freundschaftlicher Netze, wobei der Akzent aber heute noch eindeutig in der Beziehungspflege zur lokalen politischen Repräsentanz liegt.

Zarte Morgenröte in Kirche und Gesellschaft

Fazit über diesen Einzelfall hinaus: Der Nachholbedarf einer Öffnung zur lokalen Gesellschaft ist unübersehbar und auch unter dem Ziel „Mission“ nicht länger wegzuschieben. Die beiden Vorbilder aus der Bergpredigt, das Salz der Erde und das Licht auf dem Berg, in Verbindung zu bringen, bedeutet am Beispiel von Raumfragen: Diese sind folglich nicht länger unter rein kirchlichen Gesichtspunkten zu diskutieren und zu entscheiden, sondern gleichzeitig unter bürgerschaftlichen. Das gilt für vorhandene und zukünftige kirchliche Räume gleichermaßen.  Kirchendämmerung? Der Blick in die Praxis zeigt für den, der sehen will: Morgenröte der Kirche und der Bürgergesellschaft in einem ist in zugegeben noch recht zarten Konturen sichtbar. Irgendwo in der Ferne ist der Jordan.

 

Serie „Kirchendämmerung oder Morgenröte?“

Einführung: Kirchendämmerung oder Morgenröte?
von Dr. Henning von Vieregge

Teil 1: Wachsen gegen den Trend
von Adrian Schleifenbaum

Teil 2: Mission und Fürsorge
von Juliane Rupp

Teil 3: Licht auf dem Berge oder Salz der Erde: Missionarische Ausrichtung braucht Außenorientierung
 (dieser Artikel)

von Dr. Henning von Vieregge

Verwendete Literatur

Wolfgang Huber Im Interview mit Sebastian Steinbach, in: 3 E Nr.2/2015 S. 10

Christian Hennecke, Kirche die über den Jordan geht, Expeditionen ins Land der Verheißung, Münster 2011

Einen guten Überblick über die aktuelle Diskussion um Engagement, Bürger- und Zivilgesellschaft findet sich im Themenheft APuZ Nr.14-15/2015  Aus Politik und Zeitgeschichte, kostenlos beziehbar bei der Bundeszentrale für politische Bildung oder auch im Netz www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/203556/engagement (insbesondere die Beiträge von Adalbert Evers u.a. und Ansgar Klein.

Vergl. zum gleichen Themenkomplex zwei Beiträge Henning von Vieregge, Das Salz der Erde: Kirche(n) in der lokalen Bürgergesellschaft, in: eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 10/2015 vom 03.06.2015, ders., Ehrenamt verändert Kirche, Konsequenzen eines Paradigmenwechsels, in: eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 07/2013 vom 26.04.2013. Ein größerer Beitrag zum Gesamtthema „Kirche in der Zivilgesellschaft“ soll 2016 erscheinen. Wir danken dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, Prof. Gerhard Wegner, für die Unterstützung.

Weiterführende Links:

"Die Andreas-Story" von Klaus Douglass 

GoSpecial-Gottesdienste im Kinopolis

Evangelische Andreasgemeinde in Eschborn-Niederhöchststadt 

fresh expressions - neue Formen von Kirche

EKD-Zentrum für Mission in der Region

Ich merke, der weite Raum
entsteht nicht in mir und durch mich.
Er entsteht, weil andere da sind,
die mir Räume eröffnen,
gnädig umgehen mit meinen Schwächen,
sich einsetzen für einen menschenwürdigen Umgang
mit allen Menschen.

(Melanie Beiner zu Psalm 31,9)

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