Das Wunderbare im Alltäglichen
Matthias Claudius als Poet der Dankbarkeit und kritischer Journalist
Andi Fischer
21.01.2015
esz
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von Hans-Jürgen Benedict (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Wer in Hamburg über den Jungfernstieg geht, findet neben dem Alsterhaus eine Tafel, die daran erinnert, dass hier am 21. Januar 1815 Matthias Claudius im Hause seines Schwiegersohns Perthes gestorben ist. Als Dichter von „Der Mond ist aufgegangen“, das im Evangelischen Gesangbuch steht, ist er vielen Deutschen bekannt. Der „Wandsbeker Bote“ wird er auch genannt. Und das kam so: Claudius, 1740 als Pastorensohn im holsteinischen Reinfeld geboren, studierte Theologie in Jena, brach das Studium ab, belegte Jura und Wirtschaftswissenschaften, vertrödelte ein paar Jahre im Elternhaus.
Claudius nennt seinen Stil „naiv-launig“
Als 30-Jähriger wird er schließlich Redakteur des Lokalblattes „Der Wandsbeker Bote“. Wandsbek war ein Dorf bei Hamburg, ein Gut im Besitz des Barons Schimmelmann, seines Zeichens dänischer Finanzminister. Claudius macht das Provinzblättchen zu einer in ganz Deutschland geachteten Zeitschrift, in der berühmte Schriftsteller wie Klopstock, Herder und Goethe veröffentlichten. Claudius ist der Redakteur, der Politisches und Gelehrtes mitteilt in einem anspielungsreichen Plauderton. „Naiv-launig“ nennt er diesen Stil.
Als der Verleger das Blatt nach fünf Jahren sanft entschlafen lässt, ist sein Redakteur, der unter dem Namen Asmus schreibt, ein bekannter Mann. Claudius veröffentlicht seine Texte unter dem Titel „Asmus omnia sua secum portans oder Sämtliche Werke des Wandsbeker Boten“.
Die Gedichte erzählen vom Familienleben und der Dankbarkeit über das Leben
Sein Lebensglück sei seine Frau Rebekka, bekannte Claudius. Auf der Suche nach einer Wohnung in Wandsbek trifft er auf die 16-jährige Tochter des Zimmermeisters Behn und verliebt sich in sie. Die beiden heiraten im März 1772. Das erste Kind stirbt bei der Geburt. Danach brachte Rebecca noch elf Kinder zur Welt. Claudius scheute sich nicht, das Leben und Treiben seines Hausstandes der Öffentlichkeit in Gedichtform mitzuteilen. „Meine Schriftstellerei ist Realität bei mir, sonst hol's der Teufel“, hat er gesagt.
„Victoria, Victoria, der kleine weiße Zahn ist da“
Viele seiner Gedichte sind Momentaufnahmen des Familienlebens zu Anlässen wie „Die Mutter bei der Wiege“ oder „Motetto, als der erste Zahn durch war“ mit dem Ausruf „Victoria, Victoria, der kleine weiße Zahn ist da. Der Zahn soll Alexander heißen. Du liebes Kind! Gott halt ihn dir gesund und geb dir Zähne mehr in deinen Mund, und immer was dafür zu beißen“. Ähnlich heiter konnte er die Kartoffel, den Winter und den Rheinwein besingen.
Dankbarkeit für das von Gott geschenkte Leben ist sein Grundthema. Claudius hat Augen für das Wunderbare im Alltäglichen. Alltagsverbundene Poesie, die optimistisch-humorvoll die einfachen Realitäten ins Gedicht bringt, hat ihn bekannt gemacht.
Claudius arbeitet hart für wenig Geld – bis Herder ihm eine Stelle verschafft
Sein Redakteursgehalt reicht gerade für ein Leben hart am Rande der Not. So muss er viel arbeiten, zum Beispiel Übersetzungen anfertigen, um die Familie durchzubringen. 1776 verschafft ihm Herder eine gut dotierte Beamtenstelle als „Oberlandcommissarius“ beim Hessischen Landgrafen in Darmstadt. Zu seinen Aufgaben gehört die Redaktion der „Hessen-darmstädtischen privilegierten Land-Zeitung“. Hauptzielgruppe ist die ländliche Bevölkerung, die über eine verbesserte Agrarwirtschaft aufgeklärt werden sollte.
Unter der Fiktion des Invaliden Görgel kann Claudius auch kritische Einlassungen vorbringen. So berichtet Görgel seinem Herrn von den armen Leuten, die unter dem harten Winter leiden, weil sie kein Holz für einen warmen Ofen haben. Der Appell an den Adel ist so liebevoll formuliert, dass man Aufruhr dahinter nicht wittern kann. „Nun Gott befohlen, lieber Herr, und wenn er 'n Stück Holz übrig hat, geb Er's hin, und denk er, dass die armen Leute keine weiße Bären noch Walfische sind.“ In Darmstadt hält er es nur ein Jahr aus. Nach einem Konflikt mit seinem Vorgesetzten kehrt er nach Wandsbek zurück. Erst 1787 erhält er vom dänischen Kronprinzen (Wandsbek gehörte damals zu Dänemark) eine Pension als Revisor der Altonaer Species-Bank, ein Amt, das er einmal vierteljährlich auszuüben hatte.
Auch Themen von Claudius: Theologie, Kirche, Krieg und die Französische Revolution
Claudius, der Idylliker des Familienalltags, steigt auch in die literarischen Fehden seiner Zeit ein, kommentiert die Entwicklung in Theologie und Kirche, befasst sich mit Politik. Er ist einer der wenigen Dichter seiner Zeit, der sich dem Grauen des Kriegs stellt. 1779 veröffentlicht er anlässlich des bayerischen Erbfolgestreits sein „Kriegslied“. Es enthält deutliche Kritik an Sieg und Ruhm, die nichts sind angesichts der Gräuel des Kriegs. „'s ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre, / und rede du darein / ‘s ist leider Krieg und ich begehre nicht schuld daran zu sein.“ Der Dichter stellt sich den Krieg so vor, wie diejenigen ihn sehen müssten, die ihn verantworten.
Claudius setzt sich mit der Französischen Revolution auseinander. Er lehnt die Volkssouveränität ebenso ab wie die Aufhebung der ständischen Ordnung. Sein Ideal bleibt der gute, von Gott eingesetzte König, der auf das Wohl seiner Untertanen bedacht ist. Andererseits kritisiert er Sklaverei und Tierquälerei. Kaum ein Deutscher hat nicht wenigstens einmal „Der Mond ist aufgegangen“ gesungen. Matthias Claudius ruft darin mit wenigen Worten ein Bild des Abendfriedens hervor. Mit dem Hinweis auf den Mond, der „nur halb zu sehen und doch rund und schön“ ist, kritisiert er eine Vernunft, die sich selbst absolut setzt.
Der Tod als „lieber Freund Hain“
Die letzte Strophe schließt in die Bitte um einen ruhigen Schlaf den „kranken Nachbar“ ein. Der unzeitige, frühe Tod war allgegenwärtig zu Claudius' Zeiten. Sein Bruder starb bei einer Blatternepidemie, der Sohn Matthias mit zwei, die Tochter Christiane mit zwanzig Jahren. Gleichzeitig machte sich Hoffnung auf verbesserte Lebensumstände breit. Dem aufgeklärten Zeitgeist zum Trotz widmete Claudius seine „Sämtlichen Werke“ dem Tod, den er Freund Hain nennt: „Die Hand, lieber Hain! und, wenn Ihr mal kommt, fallt mir und meinen Freunden nicht hart.“ Für Claudius wartet nach dem Tod noch Größeres und Besseres auf den Menschen. Er lässt „Die Sternseherin Lise“ sprechen: „Dann saget unterm Himmelszelt / Mein Herz mir in der Brust: / ,Es gibt was Bessres in der Welt / Als all ihr Schmerz und Lust. ‘ / Ich werf' mich auf mein Lager hin / Und liege lange wach, / Und suche es in meinem Sinn, / Und sehne mich danach.“
Das Abendlied von Matthias Claudius
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen? -
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, laß uns d e i n Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!