Evangelische Persönlichkeit
Pröpstin Scherle wechselt in den Ruhestand
Sarah Kiefer
24.08.2017
esz
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Von Stefanie Bock (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Leicht fällt ihr der Schritt nicht. Wie auch. Wer glaubt, jetzt, wo Gabriele Scherle kurz davor ist, von ihrer aktiven Zeit als Pröpstin in den Ruhestand zu wechseln, habe sie nichts mehr zu sagen, irrt. Ihren Unmut über den Segensroboter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) auf der Wittenberger Weltausstellung hat sie gerade erst lautstark verkündet. Doch nun will sie Abstand nehmen von ihrem aktiven Einsatz für die EKHN, von ihrer Propstei Rhein-Main. Erst ein Wanderurlaub auf Sizilien, dann ein Besuch bei Freunden in Berlin.
„Wie ist das eigentlich, wenn ich privat bin?“
„Alle sagen, ich soll einen Break machen, um in diese Phase reinzukommen. Klar ist, ich weiß ja gar nicht, wie es sein wird“, sagt Scherle und fügt an: „Man muss sich noch mal ganz neu erfinden und neue Erfahrungen machen. Ohne Kinder ist für mich der Beruf so zentral: Wie ist das eigentlich, wenn ich privat bin? Wie ist es eigentlich, wenn ich ohne Termine bin? Wie ist es, wenn niemand etwas von mir will?“ In den ersten Jahren ihres Ruhestandes wird sie ihren Alltag alleine gestalten dürfen, ihr vier Jahre jüngerer Mann Peter Scherle wird zunächst noch am Theologischen Seminar in Herborn arbeiten.
Neben der Unsicherheit schwingt aber auch eine große Portion Freude mit: „Ich will vor allem Zeit für mich haben“, so Scherle. Begleitet von herzhaftem Lachen fallen ihr ihre vollen Terminkalender und lange Aufgabenlisten ein. Genau das will sie nicht mehr.
Ausgewählte Aufgaben für EKD und Evangelische Akademie
Etliche Anfragen für eine Mitarbeit in der Zeit nach dem 1. Oktober hat sie abgelehnt, nur weniges will sie übernehmen, wie das Engagement in der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) oder im Ausschuss für Frieden und Konflikt in der Evangelischen Akademie in Frankfurt. Zu groß ist die Sorge, das Leben ginge weiter wie bisher, zu groß ist die Verheißung, ohne Uhr den Tag zu genießen.
Früher Berufswunsch: Pfarrfrau
Bereut hat Gabriele Scherle es nie, Pfarrerin zu sein. Dafür war der Weg wohl auch zu schwer, die Freude, sich diesen Traum erfüllt zu haben, zu groß. Geboren wurde Scherle im März 1952 in Pforzheim in eine bäuerliche Waldenser-Familie. Fasziniert vom Glauben, von der Kirche träumt die junge Gabriele davon, eines Tages Pfarrfrau zu werden. Der Gedanke, Theologie zu studieren und selbst Pfarrerin zu werden, kommt ihr nicht in den Sinn. Nach der Schule absolviert sie eine Ausbildung für den mittleren Beamtendienst in der Finanzverwaltung. „Für meinen Vater war es das Größte, dass ich auf dem Finanzamt arbeite. Ich war versorgt.“ Doch seine Tochter will mehr.
Ein Studium der Sozialarbeit? Ein Studium der Theologie? Für ihren Vater keine Alternative zum sicheren Job auf dem Amt. Doch in der Kirche findet Scherle Menschen, die sie stärken, die ihr Mut machen. Darunter Theologen wie Helmut Gollwitzer und Heinrich Albertz. „In meinem Leben spielt es eine ganz große Rolle, dass mir Menschen etwas zugetraut haben, was ich noch gar nicht in mir gesehen habe. Es gehört zu meinem ganzen Leben, dass mir Türen aufgetan wurden. Durch diese Türen bin ich dann gegangen.“ Dankbar sei sie bis heute für diese Begegnungen.
Anerkennung der Eltern bleibt versagt
Auch wenn ein dicker Wermutstropfen darauf liegt. Ihre Eltern erleben ihre Tochter als Vikarin in der Wiesbadener Bergkirchengemeinde zum ersten Mal im Talar. In diesem Moment blitzt wohl ein Funken von Stolz und Akzeptanz auf, spüren lassen beide ihre Tochter das nicht. Immer wieder steht die Frage im Raum: „Vielleicht wärst du auf dem Finanzamt glücklicher geworden?“ „Da ist mir die Anerkennung ein bisschen versagt geblieben. Das hat etwas Bitteres und Trauriges“, sagt Scherle.
Pfarrerin für Pfarrer
Kurz vor ihrem Ruhestand mangelt es ihr nicht an Anerkennung. Immer wieder melden sich Pfarrer oder Kirchenvorstände, um sich bei der scheidenden Pröpstin zu bedanken oder von gemeinsam erlebten Geschichten zu erzählen. Die Begleitung von Pfarrerinnen und Pfarrern in schwierigen Situationen oder die Besetzung von Stellen sieht Pröpstin Scherle als bereichernde Aufgaben. „Ich habe oft das Gefühl gehabt, ganz viele Bälle sind in der Luft. Ich hatte Angst, dass einer runterfällt. Aber wie sich dann neue Perspektiven ergeben haben, das waren dann Glücksmomente“, sagt sie. Als Pröpstin habe sie sich als Pfarrerin für die Pfarrer gesehen.
„Kirche ermöglicht auch Frauen den sozialen Aufstieg“
Dass nach ihrem Abschied die Zahl der Pfarrerinnen in Führungsrollen weiter sinke, schmerzt sie. Dennoch betont sie, dass Kirche neben der Politik eine der wenigen Größen in der Gesellschaft sei, die einen sozialen Aufstieg ermögliche. „Und damit auch für Frauen“, so Scherle. Eine Ursache für das Fehlen von Frauen in den Schaltzentralen der Macht, sieht sie darin, dass in den Familien nach wie vor die Geschlechterrollen traditionell gelebt würden. „Es gibt keine anspruchsvollen Teilzeitstellen“, kritisiert Scherle. Dabei könnten Leitungsstellen ohne Probleme geteilt werden, ob durch Ehepartner oder Kollegen. „Da kann Kirche noch mehr machen, eine Vorreiterrolle einnehmen“, fügt sie an und verrät, dass dies auf der Agenda ihrer Kollegen weit oben stehe. Doch bis solche Gedankenspiele Wirklichkeit werden, wird sie nicht mehr im Amt sein.
Perspektivwechsel von Sorgen zu Stärken der Kirche
Noch eine Aufgabe hinterlässt sie ihren Nachfolgern: Dank ihrer vielen Termine in den Kirchengemeinden und Dekanaten habe sie Woche für Woche gesehen, wie viele tolle Menschen sich in der Kirche engagieren, welch beeindruckenden Projekte es gebe. „Was ich wirklich bedauere, ist, dass wir keinen Perspektivenwechsel geschafft haben, von den Sorgen der Kirche hin zu unseren Stärken“, sagt Scherle. Manchmal habe sie den Eindruck, die Öffentlichkeit wisse gar nicht, welch tollen Sachen Kirche zu bieten habe, manchmal wisse das nicht mal der innere Kirchenzirkel. „Es gibt viele blühende Bereiche, aber wir haben die Tendenz, nur das Schlechte zu sehen.“
Es sei schade, dass es der EKHN bislang nicht gelungen sei, ein ermutigenderes Bild für die kleiner werdende Volkskirche zu finden. Daran wolle sie auch in ihrem Ruhestand weiter arbeiten.
Eines jedoch habe sie gelernt im Laufe der Jahre: sich nicht mehr so sehr davon beeinflussen zu lassen, was öffentlich von Kirche gesagt wird. „Unser Problem ist, dass wir eine Großorganisation sind und Großorganisationen sind immer in der Kritik“, so die Frankfurterin.
Christen stark machen
Kirche müsse aufpassen, nicht ersetzbar zu werden. Genau dies passiere ihrer Auffassung nach, wenn sich Kirche nur noch als Wertelieferantin für die Gesellschaft sehe. Der erste Zweck der Kirche sei, auf Gott hinzuweisen, den Glauben an diesen Gott zum Glänzen zu bringen. „Ich finde, wir sind ein bisschen zu viel damit beschäftigt, Kirche stark zu machen, statt Christen zu stärken, sich politisch einzumischen“, so Scherle. Es gelte, die Botschaft so aufzubereiten, dass sie im Forum der Vernunft bestehen könne, auf der Höhe der Zeit sei und so Christen helfe, sich sachkundig in Debatten einzubringen.
Gabriele Scherle wird am Freitag, 1. September, um 17 Uhr in der Frankfurter Heiliggeistkirche verabschiedet. Am 1. Oktober beginnt ihr Ruhestand.