Buchmesse: Kirche und Medientrends
Rettungsring in der Informationsflut (mit Video)
R. Deschner
15.10.2015
red
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Über Entwicklungen in der Bücherwelt und den Medien sprach Uwe Gepp, Chef vom Dienst der epd-Zentralredaktion, mit Volker Jung anlässlich der Frankfurter Buchmesse.
Was lesen Sie gerade, welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?
Volker Jung: Ich lese gerade den 3. Band von Heinrich August Winklers Geschichte des Westens. Die ersten beiden Bände haben mich sehr beeindruckt. Und es gibt noch einen 4. Band.
Lesen Sie lieber E-Books oder gedruckte Bücher?
Volker Jung: Ich bin inzwischen dazu übergegangen, meine Zeitungen meistens auf dem i-Pad zu lesen. So bekomme ich noch schneller einen Überblick über das Tagesgeschehen. Mir gefällt es besonders gut, dass ich dabei für mich wichtige Artikel gleich speichern kann, ohne mit der Schere zu hantieren. Bei Büchern bleibe ich konservativ. Auch wenn ich ein Lesegerät habe: da mag ich Papier einfach lieber.
Wird das gedruckte Buch zum Nischenprodukt?
Volker Jung: Ich denke, das gedruckte Buch wird - insbesondere in der Belletristik - noch auf längere Sicht eine wichtige Rolle spielen. Es ist einfach schöner und sinnlicher, einen Band aus Papier in die Hand zu nehmen als ein elektronisches Gerät. Und es ist schöner, ein Buch zu verschenken oder geschenkt zu bekommen. Was Nachschlagewerke oder Zeitungen angeht, geht es aber sehr in Richtung Digitalisierung.
Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung für die christliche Publizistik?
Volker Jung: Evangelische Zeitschriften und Fachverlage stehen hier vor einer großen Herausforderung. Was dabei für weltliche Zeitungshäuser gilt, sollte auch hier gelten: Verlage sind keine Papierhändler, sondern Informations-Aufbereiter. Sie sollen mir als Leser helfen, einen Überblick über die Geschehnisse in der Welt zu bekommen und diese einzuordnen. Früher ging es dabei im Wesentlichen darum, verlässliche Informationen zu beschaffen. In Zeiten von Facebook und Twitter bin ich über die neuen digitalen Medien einem Überangebot an Nachrichten aus unterschiedlichen Quellen und oft zweifelhafter Güte ausgesetzt. Hier brauche ich inzwischen vierfache Hilfe: erstens beim Auswählen des Wichtigsten, zweitens beim Sicherstellen ihrer Qualität, drittens beim Erkennen ihrer oft komplexen Hintergründe und viertens beim Deuten ihrer Auswirkungen. Da kann ein gutes Informationsangebot ein regelrechter Orientierungs-Rettungsring sein. Für arrivierte Medien – auch die evangelischen - ist das eine große Chance.
Und was heißt das für die Verkündigung und die Öffentlichkeitsarbeit der Kirchen?
Volker Jung: Die Entwicklung ist stürmisch. Wir beginnen gerade erst richtig zu begreifen, wie sehr die digitale Welt die Menschen prägt und wie dies für unsere Verkündigung und unsere Öffentlichkeitsarbeit auswirkt. Was bedeutet künftig personale Begegnung? Was bedeutet Gemeinde und Gemeinschaft im digitalen Raum? Kann man sich via Social Media segnen lassen? Das sind für uns spannende Fragen.. Möglicherweise markieren sie für die Kirche und die ganze Gesellschaft einen neuen, tiefen Generationenbruch. Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel in Zukunft interaktive Gottesdienste via Internet so selbstverständlich sein werden, wie heute die ARD- oder ZDF-Fernsehgottesdienste. In der Öffentlichkeitsarbeit wird es wichtig sein, auch als Institution in den sozialen Netzwerken präsent zu sein. Aber fast noch wichtiger ist es, dass wir viele evangelische Mitglieder dazu ermutigen, für ihre Kirche und ihren Glauben in Facebook, Twitter und Co. einzustehen und dort im wahrsten Sinn des Wortes Profil zu zeigen. Schon immer galt: Glauben ist ein Kommunikationsgeschehen. Es findet nun mit neuen – digitalen – Möglichkeiten statt.
Können die Kirchen von dem anhaltend großen Interesse an sinnstiftender und spiritueller Lektüre profitieren?
Volker Jung: Das hängt sehr davon ab, ob es überzeugende Publikationen gibt, die von vielen Menschen gerne gelesen werden und die dazu anregen, den christlichen Glauben neu zu entdecken. Das Evangelium hat eine sinnstiftende Kraft und der christliche Glaube eröffnet viele Wege spiritueller Erfahrungen. Wir müssen es nur schaffen, diese Potenziale zeitgemäß zu eröffnen. Ich hoffe sehr, dass es mit dem Reformationsjubiläum gelingt, die wunderbare Glaubenserfahrung Luthers von der Freiheit eines Christenmenschen in unserer Zeit wirkungsvoll zur Sprache zu bringen. Dabei haben wir im Moment mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen. Zum einen üben insbesondere asiatische Glaubenslehren auf manche nach wie vor eine große Anziehung aus, sie wirken interessanter als das bekannte Christliche. Die zumeist philosophischen Lehren sprechen auch säkulare Sinnsucher an. Zum anderen lassen sich viele abschrecken von der Politisierung und Instrumentalisierung der Religionen, die viele Nachrichten beherrschen. Das verdeckt bei vielen leider die Lebenshilfe und gute Orientierungskraft, die in einer tiefen Spiritualität und Frömmigkeit stecken.
Der Weltbestseller Bibel liegt in einer neuen Luther-Übersetzung vor. Sollten Kirchenmitglieder und Gemeinden die neue Bibel anschaffen, und wenn ja warum?
Volker Jung: Da lade ich alle ein, es selbst herausfinden. Was ich bisher von der neuen Übersetzung mitbekommen habe, klingt auf jeden Fall sehr interessant. Die Übersetzungen wurden sorgsam am Urtext geprüft, zeitgemäße Formulierungen wurden gesucht, ohne zu vereinfachen. Manchmal, so heißt es, sei man sogar zu älteren Luther-Übersetzungen zurückgekehrt, weil sie sprachmächtiger sind, und besser Ohren und Herzen erreichen. Mich macht das neugierig und ich hoffe, viele andere auch.
Wie sehen Sie die Zukunft der christlichen Publizistik? Steigt mit dem wachsenden medialen Interesse am Reformationsjubiläum 2017 auch das Interesse an christlichen Themen und Publikationen?
Volker Jung: Ich finde es zunächst einmal bemerkenswert, dass wir uns 500 Jahre nach der Reformation, die ohne die Medienrevolution des Buchdrucks nicht denkbar war, wieder in einem epochalen Umbruch befinden, der viele Unsicherheiten mit sich bringt. Darin sehe ich eine Aufgabe und eine Chance für uns, die wir aufgreifen sollten. Vielleicht entdecken Menschen mit Hilfe des Jubiläums, dass die Themen der Reformation auch in heutige, aktuelle Lebensfragen hinein sprechen. Drei Beispiele: Das ur-evangelische Thema der Freiheit trägt etwas aus für das Leben in der heutigen Welt, die so unübersichtlich geworden ist. Die Betonung des persönlichen Gewissens hilft, mit den ethischen Fragen zu Recht zu kommen, die etwa die moderne Medizin – Stichwort Sterbehilfe – stellt. Und drittens: Der zunehmende Leistungsdruck bringt immer mehr Menschen an ihre Grenzen und zu der Frage, die auch Martin Luther umtrieb: Wann ist es genug? Wann bin ich gut genug – vor Gott und den Menschen? Ich bin sicher, dass wir aus evangelischer Perspektive dazu einiges beitragen können. Das wird mit dem Jubiläum im Jahr 2017 nicht vorbei sein. Die Reformation geht weiter – seit 1517.