Prävention
Suizid aus der Tabuzone holen und ansprechen
istockphoto, fzant
02.09.2015
rh
Artikel:
Download PDF
Drucken
Teilen
Feedback
Das Tabu brechen, Einstellungen verändern und dadurch vorbeugen. Die Beteiligten am Welttag der Suizidprävention am 10. September 2015 machen darauf aufmerksam, dass sich viele Selbsttötungen verhindern lassen können. Noch immer sterben jedes Jahr in Deutschland rund 10.000 Menschen durch Suizid. Bevor die seelische Not so groß ist, dass Menschen an eine Selbsttötung denken, gibt es Auswege. „Die Qualität menschlicher Beziehungen ist oft die beste Prävention“, erklärt Dr. Thomas Götz, Initiator des „Frankfurter Netzwerks für Suizidprävention“ (FRANS).
Psychische Gesundheit stärken
Zudem sei es wichtig, die seelische Gesundheit in der Bevölkerung zu fördern, denn psychische Krankheiten wie Depressionen gehören zu den Risikofaktoren. Zu dem im Juni 2014 gegründeten Netzwerk gehören auch Einrichtungen, die von der evangelischen Kirche mitgetragen werden, wie beispielsweise die Telefon- und Notfallseelsorge. Zu den Aufgaben des FRANS gehören Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung der Bevölkerung, Fortbildungen, die Erstellung einer gesicherten Datengrundlage, um beispielsweise Risikogruppen zu identifizieren, die Krisenversorgung sowie Fundraising. FRANS plant anlässlich des Welttages zwei Veranstaltungen in Frankfurt:
9. September - Podiumsdiskussion „Stigma Suizid“
mit Walther Kohl, Autor und Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, dem Autoren und Suizidversuchüberlebenden Victor Staudt, Dr. Lucia Schmidt von der FAZ sowie Dr. Thomas Götz
20 Uhr, Gesundheitsamt, Breite Gasse 28 in Frankfurt am Main.
10. September - Film „Vertrag mit meinem Killer“ und Diskussion
20 Uhr, CineSstar Metropolis, Eschenheimer Anlage 40 in Frankfurt am Main,
bereits ab 18 Uhr stellt sich FRANS im CineStar Metropolis der Öffentlichkeit vor.
zu den Veranstaltungen
Mit Sprache sensibel umgehen
Thomas Götz, der die Abteilung Psychiatrie im Gesundheitsamt von Frankfurt am Main leitet, möchte das Thema Suizid aus der Tabuzone holen. Deshalb sei es wichtig, darüber zu sprechen, allerdings in einer aufbauenden, zuversichtlichen Art und Weise, was sich bereits im Sprachgebrauch zeige. So lehnt er den Begriff „Selbstmord“ ab, da er eine unpassende moralische Deutung beinhalte. Und auch das Wort „Freitod“ gebe oft ungenügend die Situation wieder. Oftmals werde die Entscheidung nicht aus einer Haltung der Freiheit getroffen, sondern vielmehr drängen negativ erlebte Zustände und empfundene Ausweglosigkeit die Betreffenden in eine solche Lage. „Selbsttötung oder Suizid sind Worte, die dieses Thema angemessener beschreiben“, erklärt der Arzt.
Das Thema Suizid anzusprechen
Er macht Mut, das Thema in engen Beziehungen, im Freundes- und Bekanntenkreis anzusprechen. „Oft machen Menschen, die an einen Suizid denken, vorher eine Andeutung – und wenn sie nur in einem Nebensatz fällt. Dann ist es ganz wichtig, dass der Gesprächspartner einfühlsam nachfragt, zuhört und auf Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten hinweist“, erklärt der ausgebildete Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. In zahlreichen Gesprächen habe er erlebt, wie die Gefährdeten eine neue Lebensperspektive entwickelt haben.
Wege aus der Krise
Das hat auch Pfarrer Horst Pohl erfahren, der als ausgebildeter Gestalttherapeut mehrere Jahre in einer Beratungsstelle für Suizidgefährdete in Bielefeld gearbeitet hat. Während seiner Beratertätigkeit hat er vielen Menschen neuen Lebensmut vermittelt. So ist er einem Mann mittleren Alters begegnet, der einen Suizidversuch unternommen hatte. „Es ist wichtig, das kurze Zeitfenster zu nutzen, um nach einem Suizidversuch mit den Betreffenden ein Gespräch zu führen, das ihnen hilft, das Erlebte zu verarbeiten“, erklärt der Pfarrer. Der Mann hatte für sich keinen Ausweg mehr gesehen: Er war lange chronisch krank, seine private Krankenversicherung kündigte ihm, sein Haus wurde versteigert und seine Frau hatte sich scheiden lassen. „Wir haben ihm geholfen, aus der Schuldenfalle zu kommen und schon allein dadurch hat er wieder neue Perspektiven in seinem Leben gesehen“, erinnert sich Horst Pohl.
Zudem sei es wichtig Betroffene dazu motivieren, menschliche Beziehungen in ihrem Umfeld zu verstärken. Dies können anfangs durchaus auch lockere Verbindungen sein. Pfarrer Pohl erklärt: „Eine Kirchengemeinde oder ein Verein sind gute Ort, um sich sozial aufgehoben zu fühlen.“ Umgekehrt heiße das: Ausgrenzung erzeugt bei Menschen großen Stress. „Ob jemand die falschen Klamotten trägt oder gerade traurig zu Boden blickt, das ist kein Grund, auf jemanden herabzublicken oder komplett auszugrenzen. Ein freundliches Lächeln und ein ermunterndes Lächeln ist immer drin“, ermutigt der Pfarrer.