Bekennende Kirche
Vom Kutschersohn zum Gemeindepfarrer
Evangelischer Regionalveraband Frankfurt
07.11.2016
hag
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Aus heutiger Sicht sei es kaum nachvollziehbar, schreibt Karl Heinrich Schäfer, dass sich sein Vater aus Glaubens- und Gewissensgründen einer Ausbildung anvertraute, die zwar inhaltlich überzeugend war, rechtlich und finanziell jedoch unsicher. In seinem Buch spürt er den Beweggründen seines Vaters Heinrich Schäfer nach. Für ihn ist es eine „Annäherung“, da er den 1985 verstorbenen Vater nicht mehr befragen konnte. Kritisch blickt er immer wieder auf die rechtlichen Bedingungen, schließlich ist er nicht wie sein Vater Pfarrer, sondern Jurist geworden. Die evangelische Kirche kennt er sehr gut, denn er leitete die Synode der EKHN von 1994 bis 2010 als Präses.
Vikariatsszeit vom bundesdeutschem Recht nicht anerkannt
In den Unterlagen zum Kirchenkampf entdecke Schäfer seinen Vater auf der Liste der „illegalen Jungtheologen“. So nannte man junger Pfarrer, die vor dem Bruderrat der Bekennenden Kirche ihr Examen abgelegt hatten. Diese besaßen keine staatlich anerkannte Ausbildung und taten aus nationalsozialistischer Sicht ihren Dienst illegal. Wer diesen Weg einschlug, hatte keine gesicherte berufliche Zukunft und keinen verbrieften Anspruch auf Versorgungsbezüge im Alter. Den Juristen Schäfer bestürzte es, dass seinem Vater bei der Berechnung der Pension in den späten siebziger Jahren tatsächlich die Zeit als Vikar in der Bekennenden Kirche nicht rentensteigernd angerechnet oder in anderer Weise finanziell ausgeglichen wurde.
Geistlich geprägt durch den evangelischen Posaunenchor
Heinrich Schäfer war der Sohn eines Kutschers, aber nicht irgendeinen Kutschers. Sein Vater war „fürstlicher Kutscher“ des Fürsten zu Solms-Hohensolms. Im Schloss wuchs Heinrich auf und in Lich ging er zur Schule. Bereits als Schüler spielte er die Orgel in Gottesdiensten, sang im Chor und stellte theologische und liturgische Fragen. Entscheidend geprägt hat ihn der Licher Posaunenchor, in den er mit 13 Jahren eintrat. Sohn Karl Heinrich Schäfer vermutet, dass dort die geistliche Grundlage für die Lebensentscheidung seines Vaters gereift ist.
Heinrich Schäfer studiert Theologie, ab 1931 in Bethel, wo er Griechisch, Hebräisch und Latein lernt. 1932 wechselt er an die Universität nach Gießen, wo er 1934 Mitglied der Bekennenden Kirche wird. Bereits 1935 meldet sich der junge Mann zum Examen an, allerdings nicht an der Universität, sondern beim Landesbruderrat. Nach dem Ersten Examen 1936 wird Schäfer Vikar in Queck und besucht das Theologische Seminar der Bekennenden Kirche in Frankfurt am Main. Nach der Zweiten Theologischen Prüfung vor dem Landesbruderrat im Jahr 1938 und der Ordination wird Schäfer im März 1939 von der Gestapo aus dem Kirchengebiet Hessen ausgewiesen und wechselt nach Frankfurt. Nach seinem Wehrdienst folgt eine kurze Dienstzeit als Pfarrer des Pfarrernotbundes, und ab 1940 ist Schäfer als Soldat eingezogen, heiratet 1942 in Uniform und gerät schließlich in Gefangenschaft.
Schäfer wird Landpfarrer in der EKHN
Sein Sohn Karl Heinrich Schäfer kommt 1947 zur Welt. Möglichst genau zeichnet dieser den beruflichen Weg seines Vaters im neu erstandenen Deutschland auf, wie dieser, nah seiner Heimat, erst auf dem Wirberg im Dekanat Grünberg, und ab 1952 in Wohnbach im Dekanat Hungen als Gemeindepfarrer tätig ist. Dort gründet er bereits zehn Tage nach Dienstbeginn einen Posaunenchor. Das Buch mit dem Titel „Heinrich Schäfer“ ist im Justus von Liebig Verlag erschienen und trägt den Untertitel: Annäherung an einen „illegalen Jungtheologen“. ISBN 978-3-87390-369-2.
Hintergrund:
In der Zeit des Nazionalsozialismus war die evangelische Kirche gespalten. Nachdem auch in der Deutschen Evangelischen Kirche 1933 der Arierparagraph eingeführt worden war und Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt wurde, schlossen sich evangelische Theologen im September 1933 zum Pfarrernotbund zusammen. In der Theologischen Erklärung von Barmen stellten sie 1934 fest, dass die Kirche unter dem Vorzeichen des Nationalsozialismus keine Kirche mehr ist. Die Kirche habe nur Christus zu gehorchen und müsse frei sein von allen gottlosen Bindungen. So entstand neben der Reichskirche eine von einem Bruderrat geleitete Untergrundkirche, der sich ein Teil der Pfarrer mit ihren Gemeinden anschloss.