Protestantische Pioniere
Ehepaar gründete evangelische Kirchengemeinde im Westerwald
Peter Bongard
16.08.2013
sto
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Die wenigsten Westerwälder Christen können von sich behaupten, die Gründung ihrer Kirchengemeinde miterlebt zu haben. Liselotte und Werner Kratz waren dabei. Nicht nur das: Ohne das Ehepaar würde es wahrscheinlich bis heute keine eigenständige Kirchengemeinde Wallmerod geben.
In dem kleinen Ort bei Montabaur wollten die beiden Senioren ihren Ruhestand genießen. Sie kamen 1985 aus der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf in den Westerwald. Sie ist damals 65, er ist fünf Jahre jünger, beide evangelisch. Und ziemlich unzufrieden. Denn das Wallmerod der Achtziger ist eine katholische Hochburg.
Suche nach Gleichgesinnten im protestantischen Niemandsland
Weder Liselotte noch Werner Kratz waren eifrige Kirchgänger. Obwohl sie für die Evangelische Kirche im Rheinland arbeitete, hatte sich keiner von beiden ehrenamtlich engagiert. Doch dass es in ihrer neuen Heimat keine eigenständige evangelische Kirchengemeinde gibt und sie die Gottesdienste im zehn Kilometer entfernten Hadamar nur mit dem Auto erreichen, stört das Paar. „Vielleicht haben sich da meine Gene zu Wort gemeldet“, sagt Liselotte Kratz. „Meine Eltern haben sich früher im protestantischen Arbeiter- und Bürgerverein engagiert und waren sehr gläubig. Das muss ich wohl unbewusst übernommen haben.“
Die Seniorin macht sich auf die Suche nach Gleichgesinnten im protestantischen Niemandsland. Das Paar lässt nicht locker und so wird das evangelische Leben in und um Wallmerod immer aktiver. Schließlich bitten die Protestanten bei der Kirchenleitung der EKHN in Darmstadt um eine eigene Gemeinde. Ihr Traum geht am 1. Juli 1992 in Erfüllung. Wallmerod bildet mit 22 Dörfern endlich eine eigenständige Kirchengemeinde – in einem Gebiet, in dem vier von fünf Menschen katholisch sind.
Bibel steht neben Einmachgläsern
„In den Anfangsjahren sind wir durch Wallmerod und die umliegenden Ortschaften gezogen, um uns und die neue Kirchengemeinde vorzustellen. Viele waren offen, aber manche haben uns die Türe vor der Nase zugeknallt“, erinnert sich Liselotte Kratz. Mit der neuen Gemeinde beginnt für das Ehepaar ein neues Leben. Beide engagieren sich, wo es nur geht, sie wird Teil des Kirchenvorstands.
Nicht nur für das ältere Paar ist die Startphase schwierig: Die Protestanten treffen sich in einem angemieteten Haus. Zwischen der Küche und dem Wohnzimmer reißen sie eine Wand heraus, damit sie so etwas wie einen Gemeinderaum haben. Der erste Pfarrer, Andreas Krone, bleibt rund vier Jahre. Danach übernehmen Heike und Heinrich Meissner die Stelle. Die beiden leben damals in der Dachwohnung des „Gemeindezentrums“: Heike Meissners theologischen Bücher stehen im Keller direkt neben den Einmachgläsern. Sonst gibt's einfach keinen Platz.
Endlich Ruhestand statt Anfeindung
Die Geschichten rund um die Gründung sind mittlerweile schon fast zur Legende geworden. Familie Kratz kann inzwischen darüber lächeln: „Wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Denn die Gemeinde war uns wichtig. Sie war mehr als ein Ort, an dem sich Gleichgesinnte treffen. Sie war unsere Heimat.“
Inzwischen hat die Kirchengemeinde ein Gemeindehaus, in dem Bücher und Marmelade nicht mehr im selben Regal stehen, eine Kirche und eine lebendige, warmherzige Gemeinde mit vielen Veranstaltungen und Kreisen. Heute ist Liselotte Kratz 93 und Werner Kratz 88 Jahre alt. „Uns ging es in unserem Engagement stets um den persönlichen Kontakt zu den Menschen“, sagt die Seniorin. Obwohl sie inzwischen nicht mehr im Kirchenvorstand aktiv ist, beobachtet sie die Entwicklung ihrer Gemeinde ganz genau. „Erst vor wenigen Jahren ist ein Besuchsdienst ins Leben gerufen worden, der sich um alte, kranke und einsame Männer und Frauen kümmert“, sagt sie zufrieden. „Solche Initiativen sind wichtig. Gerade in dieser Zeit der Umbrüche.“