Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

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Wir sind frei wie die Vögel! Die Menge der Möglichkeiten, aus denen wir auswählen können, ist nahezu grenzenlos.

Freiheit in einem endlichen Leben

veröffentlicht 19.08.2025

von Prof. Dr. Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin EKHN

In jeder Minute unseres Lebens können wir uns entscheiden, wie wir leben wollen. Aber wir müssen uns auch entscheiden. Heute haben wir viel mehr Möglichkeiten als früher.

Entscheidungen treffen und Angst, etwas zu verpassen

Wir können unseren Beruf frei wählen. Wir können die ganze Welt bereisen. Durch die Sozialen Medien können wir an ungeheuer vielem teilhaben. Überall können wir Freunde finden. Die Menge der Möglichkeiten, aus denen wir auswählen können, ist nahezu grenzenlos.

Natürlich können wir Dinge ein zweites Mal tun, nochmal diese Reise machen oder ein zweites Mal einen Menschen kontaktieren. Aber wenn wir ehrlich sind, ist das zweite Mal anders als das erste Mal. Jede Minute unseres Lebens ist einmalig. Weil unser Leben endlich ist, haben wir nicht unbegrenzt Zeit. Manche Möglichkeiten werden wir kein zweites Mal bekommen. Keinen Tag können wir ein zweites Mal leben, um dann im zweiten Versuch die richtige Entscheidung zu treffen. „Und täglich grüßt das Murmeltier“, dieser Film, in dem Bill Murray einen Tag so lange wiederholen muss, bis er sich in einen besseren Menschen verwandelt hat, ist eben nur ein Film.

Wir können nicht mehreres gleichzeitig tun, wir müssen uns entscheiden

Das Problem ist: Wenn ich mich für jetzt das eine entscheide, geht das andere jetzt nicht mehr. Wenn ich mich dazu entscheide, in diesem Sommer ans Meer in den Urlaub zu fahren, kann ich nicht in die Berge. Es ist schwer, der eigenen Entscheidung treu zu bleiben und sich nicht am Meer dann doch in die Berge zu sehnen. Selbst wenn ich mich nicht entscheiden kann, fälle ich eine Entscheidung, eben die, an keinen der Orte zu fahren.

Wir sind frei, das heißt, wir können uns entscheiden. Und wir sind endlich, das heißt, wir können nicht mehreres gleichzeitig tun, sondern müssen uns entscheiden. Und unsere Entscheidungen haben Folgen, für uns und für andere. Es ist menschlich, vor Entscheidungen Angst zu haben. Denn man spürt darin die eigene Endlichkeit und erlebt die eigene Verantwortung.

Angst, etwas zu verpassen, kann sich zur Verzweiflung steigern

Der dänische Theologe Sören Kierkegaard nannte die Freiheit des Menschen deshalb die „sich ängstigende Freiheit“. Zur Freiheit gehört die Angst, durch die Entscheidung für das eine das andere zu verpassen und letztlich sich selbst durch die Entscheidung zu verlieren. Diese Angst kann sich zur Verzweiflung steigern, in der der Mensch in sich verkrampft ist und gar nichts mehr tun kann.

Gott sieht dich liebevoll an, auch wenn du dich nicht entscheiden kannst.

Gott gibt mir den Mut, mich zu entscheiden

Für mich wird diese Angst kleiner, wenn es mir gelingt, mein Leben von Gott her zu sehen. Gott will, dass es mich und auch dass es dich gibt. Für Gott bin ich, bist du wertvoll, einfach so. Für Gott bist du nicht erst dann etwas wert, wenn du alles richtig machst. Für Gott bist du wichtig, auch wenn du dich falsch entschieden hast. Gott sieht dich liebevoll an, auch wenn du dich nicht entscheiden kannst. Das löst meine Verkrampfung. Und gibt mir den Mut, mich zu entscheiden. Denn ich weiß, für Gott bin ich mehr als meine Entscheidungen.

Wenn ich dann merke, dass eine Entscheidung doch falsch war, kann ich mir dies eingestehen und, wo es möglich ist, falsche Entscheidungen korrigieren. Ich kann Menschen um Verzeihung bitten. Und ich kann von Gott auch dort Vergebung erfahren, wo kein Mensch mehr vergeben kann.

Zur Person

Prof. Dr. Christiane Tietz hat das Amt der Kirchenpräsidentin seit dem 1. Februar 2025 inne. Sie ist Pfarrerin und nimmt einen regelmäßigen Predigtauftrag in der Dreikönigsgemeinde Frankfurt wahr. 

Christiane Tietz

© EKHN / Peter Bongard

Prof. Dr. Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin der EKHN

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