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Du bist heilig. Huch!
veröffentlicht 31.03.2025
von Pfarrer Jan Scheunemann aus Lautertal-Reichenbach
Du liest richtig. Huch! Die EKHN beginnt jetzt auch mit Heiligsprechungen – und zwar aller ihrer Mitglieder mit der Impulspost, die sich damit gegen das reine Leistungsdenken der heutigen Zeit richtet: Du musst nicht erst jemand besonderes werden – in den Augen Gottes bist du es schon! Du bist wunderbar geschaffen – du siehst gut aus – du bist wertvoll – du wirst gebraucht. Kurz: Du bist heilig!
Gott glaubt an dich!
Perfektion und Selbstoptimierung stehen in unserer Gesellschaft auf der Tagesordnung. Der Druck wird sowohl im beruflichen als auch im familiären Kontext immer größer: Schaffe ich alles? Wie bringe ich alles unter einen Hut? Bin ich gut genug für den Beruf oder meinen Partner? Wann habe ich genug geleistet?
„Nun aber verhält sich das Ding durch göttliche Güte so, dass wir niemals etwas richtiger und heiliger anstellen als dann, wenn wir meinen, wir seien gänzlich ohnmächtig.“
Martin Luther
Auch für Martin Luther standen vor über 500 Jahren ähnliche Fragen im Raum: Wie kann ich vor Gott bestehen? Wann bin ich gut genug? Nach intensivem Bibelstudium erkannte er: Ich muss gar nichts leisten, um vor Gott zu bestehen – Gott nimmt mich an, so wie ich bin. Oder anders ausgedrückt: Gott glaubt an mich. Diese Einsicht wurde zur Entdeckung seines Lebens und veränderte mit der Reformation die Welt.
Heilig bin ich also schon, weil Gott an mich glaubt. Nicht weil ich selber etwas leiste. Die Impulspost entfaltet das Spannungsfeld göttlichen Zuspruchs und menschlicher Lebensrealität. Dabei möchte sie auch dazu anregen, sich mit den Themen „Lust auf Leistung“ und gleichzeitig mit der Frage: „Wie komme ich zur Ruhe, und wie raus aus dem Hamsterrad“ auseinanderzusetzen.
Du bist heilig
Von Pfarrer Jan Scheunemann aus Lautertal-Reichenbach
Du bist heilig. Huch! Da war doch diese eine Liedzeile. „Du bist heilig, du bringst Heil“. Ganz klar auf Gott gemünzt. Und jetzt ich, oder wie? Ich bin heilig! Huch? Was meint das denn überhaupt?
Es bedeutet jedenfalls nicht, dass ich mir die Innenbeleuchtung aufgrund meines Heiligenscheins sparen kann. Ich bin ja auch keiner von diesen Typen, die für ihre großen Verdienste für die Religion heiliggesprochen wurden. Wer ist denn heilig? Hier überrascht mich die Plakataktion. Die Fahnen, die mir sagen, „Du bist heilig!“ hängen außen! Würden sie innen hängen, müsste ich mich regelmäßig sonntags in der Kirche blicken lassen. Tun sie aber nicht! Jeder kann sie sehen, ob er gerade aus der Kirche kommt oder nur an ihr vorbeifährt. Jeder kann lesen: Du bist heilig!
Was ist mit „heilig“ gemeint?
Wikipedia weiß Rat: Heilig bedeutet, jemand oder etwas gehört
„einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder Absoluten“
an. Für mich als Pfarrer heißt das: Das trifft auf alle Menschen zu, denn jeder und jede ist Geschöpf Gottes!
Da kommt auch wieder die Liedzeile vom Anfang ins Spiel. Die geht nämlich weiter: „Du bist heilig, du bringst Heil, bist die Fülle, wir ein Teil der Geschichte, die du webst“. Gott als Schöpfer*in bestimmt irgendwie unser Schicksal, webt unsere Geschichte. Greift vielleicht lenkend ein, ohne dass wir es merken. Schwer vorstellbar, wie das konkret gehen soll und trotzdem werde ich manchmal das Gefühl nicht los, dass es so ist.
Nämlich oft dann, wenn ich etwas unerwartet Gutes erlebe. Für mich ist das etwas Heiliges! Das Gute, das Vollkommene, das ich mit Gott in Verbindung bringe! Und wie in der Kunst spiegeln die Werke etwas vom Urheber: an der Vollkommenheit Gottes haben die Menschen Anteil, weil sie seine/ihre Geschöpfe sind. Beim Menschen, das hat mal einer meiner Ausbilder gesagt, spiegelt sich das Göttliche im Gesicht. Man kann etwas von Gott erkennen in einem Menschen, der einen anlächelt. Weil Gott mich und alle Menschen auch ansieht und dabei lächelt.
„Heil“, das Gegenteil von kaputt
Wikipedia nochmal: „Heilig bezeichnet etwas Besonderes, Verehrungswürdiges.“ Und deswegen ist der Mensch heilig. Etwas von Gottes Heiligkeit steckt auch in jeder und jedem von uns. Weil Gott uns haben will und sich Mühe mit jedem Menschen gegeben hat. Und deswegen ist auch jeder Mensch ehrwürdig, also heilig. Grundsätzlich. Egal wer. Du bist heilig! Kleine Randnotiz: Auch die „Gemeinschaft der Heiligen“, von denen das apostolische Glaubensbekenntnis spricht, meint also jeden Menschen. Das ist kein exklusiver Club.
Und dann steckt noch etwas in diesem Wort: Heilig – darin steckt „Heil“, das Gegenteil von kaputt. Und das Gefühl von Kaputtheit, von Unheil, das beschleicht mich, wenn ich einen Blick in die Welt werfe. Was die Weltpolitik und die Wirtschaft betrifft, aber auch, wenn ich einzelne Menschen betrachte, auch mich selbst. Verletzt sein und verletzt werden ist Grundbestandteil menschlicher Erfahrung.
Deswegen kommt hier ein weiterer Aspekt für mich hinzu: Ich glaube: Gottes Wesen ist im Kern die Alles umfassende Liebe! Gott liebt diese Welt und die Menschen darin und möchte die Welt heilen. In den Begegnungen mit den einzelnen Menschen, aber auch die Welt im Gesamten. Im Großen zeichnet sich die „Heilung“ oder „Heiligung“ der Welt ab im Ostergeschehen, das wir vor einigen Wochen gefeiert haben. Jesu Tod und Auferstehung enthält die klare Botschaft, dass das Leben stärker ist als der Tod! Du bist heilig!
Alle Bereiche unseres Lebens
Und im Kleinen lässt sich dieses Heil werden, das Heilig sein persönlich erleben. Zum Beispiel im Gottesdienst: „Kommst zu uns in Brot und Wein, schenkst uns deine Liebe ein“, so schlägt das Lied das Abendmahl vor als Ort zum Erleben des heilig sein.
Aber eigentlich betrifft die Feststellung „Du bist heilig!“ alle Bereiche unseres Lebens. Heilig sein äußert sich in der (Nächsten-)Liebe. Andere Menschen als um ihrer selbst willen wertvoll, als Geschöpfe Gottes ansehen, liebevoll an ihnen handeln. Man kann sich so verhalten, dass die Teilhabe am Heil erkennbar wird: aktiv das Heil in der Welt weiterverbreiten.
Aber auch andersrum funktioniert das: heilig sein ist auch dieses Gefühl, wenn man gezeigt bekommt, dass man geehrt wird, dass man etwas Besonderes ist für einen anderen Menschen. Und für Gott. Denn der/die liebt dich.
Deswegen bist du heilig! Auf so viele Facetten!

© Hans-Jörg Ott / fundus-medien.de
Du bist heilig
Was bedeutet das aus evangelischer und katholischer Sicht?
Von Pfarrer Axel Zeiler-Held, Evangelische Peterskirche, Großen-Linden
Fragt man Menschen auf der Straße nach Unterschieden zwischen der römisch-katholischen und den evangelischen Kirchen, so wird oft die Heiligenverehrung benannt. In der Praxis ist es auch so, dass Heilige in den Kirchen und Gottesdiensten der Protestanten keine große Rolle spielen, während sie in der römisch-katholischen Kirche an vielen Stellen vorkommen.
Unterscheidung zwischen der Anbetung Gottes und der Verehrung der Heiligen
Dabei unterscheiden sich evangelische und katholische Kirche im Verständnis von „Heiligen“ im Grunde nicht. In beiden Kirchen wird der Begriff in doppelter Weise verwandt: Zunächst kann man sagen, dass alle Christinnen und Christen „Heilige“ sind, denn alle gehören zur „Gemeinschaft der Heiligen“, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Heilig werden die Menschen nicht aufgrund besonderer Leistungen, sondern weil sie zu Gott gehören, der heilig ist und so werden auch die Menschen geheiligt.
Darüber hinaus gab und gibt es Menschen, in deren Leben diese Heiligkeit (die allen Christen zueigen ist) besonders sichtbar wird. In den Anfängen der Christenheit waren es vor allem Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet wurden, die als Heilige verehrt wurden. Später wurden auch andere Christen, die durch ihr Leben eine besondere Bedeutung hatten, als Heilige bezeichnet. Von Anfang an bemühten sich die Theologen, zwischen der Anbetung Gottes und der Verehrung der Heiligen zu unterscheiden. Aber in der Frömmigkeit der Menschen, vor allem im Mittelalter, war diese Unterscheidung kaum festzustellen. So nahm zum Beispiel der Handel mit Gegenständen, die mit Heiligen in Verbindung gebracht wurden (Reliqiuen), große Ausmaße an, und war mit vielen magischen Vorstellungen verbunden. Die Kirche versuchte, durch kirchenrechtliche Maßnahmen den Heiligenkult in Bahnen zu lenken. So entwickelte sich in der katholischen Kirche ein exakt festgelegtes Verfahren zur Heiligsprechung von Menschen.
Der Heiligen gedenken
Luther und seine Gefolgsleute versuchten, den Heiligenkult einzudämmen, ohne die Bedeutung der Heiligen ganz aufzugeben. „Man soll der Heiligen gedenken, um dadurch seinen eigenen Glauben zu stärken. Es ist jedoch gegen die Schrift, sie neben Jesus Christus als Vermittler und Versöhner anzurufen, weil dadurch seine Versöhnungstat durch den Kreuzestod in Frage gestellt werde“ lautet der entscheidende Satz aus den lutherischen Bekenntnisschriften.
Dass die katholische Kirche Heilige „anbete“, ist ein häufiges Missverständnis. Es gibt aber die Praxis, dass im Fall von Heiligen nicht nur für einen Verstorbenen gebetet wird (was im evangelischen Verständnis durchaus möglich ist), sondern auch zu einem Verstorbenen (nämlich dem Heiligen). Damit verbunden ist meist der Wunsch, der entsprechende Heilige möge vor Gott für die Bitten des Menschen eintreten.
Im protestantischen Verständnis ist das Gebet zu Heiligen nicht vorgesehen. Im evangelischen Bereich gibt es auch keine kirchenrechtlichen Verfahren, die festlegen, wer als „heilig“ gilt. „Heilige“ können aber sehr wohl Vorbilder für die Lebensgestaltung oder auch zu Identifikationsfiguren werden, um das geistliche Leben daran auszurichten. So verstanden nützt das Gedenken an die „Heiligen“ der Kirchengeschichte, um im eigenen Leben den Satz „Du bist heilig“ erfahrbar zu machen.
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