
© Birgit Arndt / fundus.media
Mit sich selbst sorgsam umgehen und Gott durch Nichtstun dienen
veröffentlicht 13.06.2025
von Von Propst Matthias Schmidt
Im Mai 1530 steht die Sache der Reformation auf Messers Schneide. Die Lager der Reformierten und der Altgläubigen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Krieg liegt in der Luft. Da treffen sich die verfeindeten Lager zum Gespräch in Augsburg. Es soll den Versuch einer Einigung geben.
Luther selbst wird nicht dorthin können. Der Bann liegt auf ihm. Er darf den Gegnern nicht in die Hände fallen. So bleibt er während der Verhandlungen in der Veste Coburg, bei Freunden. Aber er schickt seine besten Leute, angeführt von Philipp Melanchthon, dem brillanten Theologen und Vertrauten Luthers. Regelmäßig informieren berittene Boten den ungeduldig Wartenden.
Nach einigen Wochen kommen beunruhigende Nachrichten aus Augsburg. Die Freunde klagen, dass sie sich um Melanchthon Sorgen machen. Er lebt nur noch zwischen Verhandlungssaal, Schreibtisch und Besprechungszimmer. Er gönnt sich keine Ruhe, schläft kaum, isst wenig. Noch nicht einmal am Sonntag ruht er. Sie haben Angst, dass er nicht durchhält.
Martin Luther schreibt in einem seelsorglichen Brief an Melanchthon: „Aber Du höre, was ich vor allen Dingen will: Denke daran, dass Du Dir … Deinen Kopf zugrunde richtest. Deshalb will ich Dir und allen Freunden befehlen, dass sie Dich … unter Regeln zwingen, die Deinen Leib erhalten, damit Du nicht ein Selbstmörder wirst und danach vorgibst, dass dies aus Gehorsam gegen Gott geschehen sei. Denn man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun. Deshalb nämlich hat er gewollt, dass vor anderen Dingen der Sabbat so streng gehalten werde. Siehe zu, dass Du dies nicht verachtest. Es ist Gottes Wort, was ich schreibe.“
Mich beeindruckt dieser Brief Luthers
Obwohl er weiß, was auf dem Spiel steht, ermahnt er den Freund mit sich selbst sorgsam umzugehen, am Sonntag zu ruhen.
Übrigens hat die Sache der Reformation in Augsburg Erfolg. Unter der Federführung Melanchthons entstand das „Augsburger Bekenntnis“, das bis heute die Kerngedanken des Evangelischen Glaubens auf den Punkt bringt. Melanchthon hatte gelernt:
„…man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun.“
Freiburger Wissenschaftler erforschen die Muße
Die Freiheit des Nichtstuns
Von Christine Süß-Demuth (epd)
Wer wünscht sich das nicht: Zeit ohne Pflichten und Zwänge, Freiraum für Denken und Erfahrungen. Muße - das bedeutet mehr als einfach nur Chillen oder Relaxen.
"Muße ist ein freies Verweilen in der Zeit." So beschreibt es der Germanist Peter Philipp Riedl. Der Professor managt den Sonderforschungsbereich "Muße" an der Universität Freiburg, in dem Literaturwissenschaftler, Soziologen, Ethnologen, Psychologen, Mediziner, Philosophen und Theologen vier Jahre lang bis Ende 2016 interdisziplinär arbeiten.
Wie muss man sich einen Muße-Forscher vorstellen?
Beine hochgelegt auf den Schreibtisch, eine Tasse Tee mit Blick aus dem Fenster: Wie muss man sich einen Muße-Forscher vorstellen? Freiräume der Muße im Wissenschaftsbetrieb gehören dazu, ist sich Riedl sicher. Aber auch wenn Wissenschaftler zum Thema forschen, frei von Zeitzwängen sind sie nicht, auch sie müssen Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren. Ihr Auftrag: Eine Kulturgeschichte der Muße zu entwickeln.
Bereits in der Antike war die schöpferische Muße im Gegensatz zur Arbeit ein wichtiges Thema. Aristoteles schrieb: Es gilt als ausgemacht, dass die Glückseligkeit sich in der Muße findet. Ein Grund für die Freiburger Forscher, die Muße als Lebensform in der Spätantike zu erforschen.
Aber die Wissenschaftler interessieren sich auch für das Heute, etwa für Zeiten der Muße in der Schule. Ethnologen untersuchen Praktiken freier Zeit in zwei bäuerlichen Gesellschaften in Frankreich und Namibia. Erforscht wird etwa auch die Inszenierung der Muße in architektonisch gestalteten Räumen als Heilmittel für seelische Gesundheit. Wer von den Mußeexperten jetzt allerdings praktische Tipps erwartet, wird enttäuscht: "Wir sehen unsere Aufgabe nicht als Lebensratgeber", sagt Riedl. "Wir wollen lediglich einen Debattenbeitrag leisten." Die aktuelle Brisanz sieht der Forscher in der Zeitverdichtung, etwa beim Multitasking. "Das tut den Menschen und der Ökonomie nicht gut", ist er überzeugt. Muße sei letztlich auch eine gesellschaftspolitische Frage: Wie haben wir unser Leben organisiert, wie ist es strukturiert, ist es vielleicht doch nicht so unserem Menschsein angemessen wie es sollte?
Muße ist ein Auf-sich-selbst-konzentrieren
Mit Kategorien von Freizeit, Faulheit oder Müßiggang lässt sich Muße nicht ausreichend beschreiben. "Wer Muße hat, ist frei davon, etwas zu müssen", beschreibt es der Freiburger Professor Günter Figal: Wer mit Muße seiner Arbeit nachgehe, unterstehe keinem Zwang und müsse keine bestimmten Erwartungen erfüllen. Muße schaffe damit den Freiraum, um kreativ zu sein. Hetze, überstürzende Eilfertigkeit, nervöser Eifer seien damit unvereinbar. "Wir alle brauchen Muße oder mehr Muße, wir vermissen sie", ist seine Erfahrung. Eigens dafür wurden Räume gebaut und eingerichtet: Akademien, Eremitagen, Landsitze, Teehäuser und Gärten, Bäder und Cafés. Doch eine Mußegarantie gibt es an solchen Orten nicht.
"Bei Muße geht es nicht ums Nichtstun, Müßiggang oder gar Langeweile, sondern Muße ist ein Auf-sich-selbst-konzentrieren", sagt der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri: "Muße ist erfüllte und erfüllende Zeit – nur eben nicht sofort verwertbar."
Wir danken dem epd für das Veröffentlichungsrecht dieses Artikels.
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