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Prävention
veröffentlicht 02.02.2024
von Dr. Petra Knötzele und Anette Neff, M.A.
Situationen von Ausgrenzung und möglicher Gewalt sollen gar nicht entstehen - deshalb werden präventive Maßnahmen ergriffen
Die beste Prävention ist Sprachfähigkeit aller über die Tabuthemen Sexualität und sexualisierte Gewalt und eine gelebte Kultur der Aufmerksamkeit. Diese beiden Grundvoraussetzungen gelten besonders innerhalb der Arbeitsbereiche mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen. In jeder gesellschaftlichen Gruppe und in jedem Kontext können Menschen von sexualisierter Gewalt betroffen sein. Dies ist kein Phänomen einer bestimmten sozialen Gruppe oder bestimmter Arbeitsformen. Wichtig sind uns Transparenz aufgestellter Regeln und ein einfacher Zugang zu Beschwerdemöglichkeiten und Ansprechpersonen (s. Schutzkonzepte).
Der Tatsache, dass Gewalt und Grenzverletzung überall vorkommt, ist sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sehr bewusst und hat sich daher das sogenannte Gewaltpräventionsgesetz gegeben. Dessen Präambel definiert:
„Prävention sexualisierter Gewalt umfasst die Sensibilisierung und Qualifizierung aller haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und Leitungsverantwortlichen auf allen Ebenen kirchlichen Lebens, um Grenzverletzungen zu verhindern. “
Prävention als kirchliche Aufgabe ist Gesetz
Zur Umsetzung der EKD-Richtlinie zum Schutz vor sexualisierter Gewalt (kurz: Gewaltschutzrichtlinie) in der EKHN wurde der Entwurf eines Kirchengesetzes zur Prävention, Intervention und Aufarbeitung in Fällen sexualisierter Gewalt (kurz: Gewaltpräventionsgesetz) der Kirchensynode 2019 vorgelegt, in den Ausschüssen beraten und im Herbst 2020 beschlossen.
Umfassende Prävention ist Teil des Selbstverständnisses der EKHN
Das Gewaltpräventionsgesetz gehört zum Selbstverständnis der EKHN. Dessen Präambel zeigt den Vorrang des Schutzes von Kindern und Jugendlichen auf und nimmt die Leitungsverantwortlichen auf allen Ebenen in die Pflicht. Sie erweitert den Kreis der Schutzbedürftigen um erwachsene Schutzbefohlene. Der Begriff des Kindes und Jugendlichen ist gesetzlich festgelegt. Mit dem Begriff des erwachsenen Schutzbefohlenen werden im Strafgesetzbuch Personengruppen beschrieben, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie einem möglichen Tatgeschehen wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit (zum Beispiel Pflegeeinrichtung, Krankenhaus) oder aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses (zum Beispiel Schule) oder eines besonderen Vertrauensverhältnisses (Seelsorge, Beratung) in besonderer Weise ausgeliefert sind. Das Gewaltpräventionsgesetz bezieht diese Personengruppen ausdrücklich in den Anwendungsbereich mit ein.
Verhaltenskodex und Selbstverpflichtung
Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in der EKHN unterliegen einem Verhaltenskodex. Dieser hält die Nulltoleranzpolitik der Landeskirche gegenüber Gewalt und Ausgrenzung als verbindliche Handlungsmaxime fest. Damit verbunden ist eine Selbstverpflichtungserklärung.
Die rechtlichen Bestimmungen zur Prävention in §§ 3 und 9 GPrävG
§ 3 des Gewaltpräventionsgesetzes benennt in Absatz 1 die Erwartung an Mitarbeitende im Umgang untereinander, aber auch mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen, eine wertschätzende respektvolle Kultur zu pflegen. Die Mitarbeitenden sind daher (auch im Sinne von Compliance) auf einen Verhaltenskodex zu verpflichten. Weiter werden die Bereiche der Arbeit von und mit Kindern und Jugendlichen bzw. für Kinder und Jugendliche beschrieben und dabei ein Bezug auf die Kinder- und Jugendordnung (KJO) hergestellt.
Kirchliche Arbeit ist vielfach Beziehungsarbeit. Diese Beziehungen dürfen nicht missbraucht werden. Wesentlich dafür ist Professionalität mit Blick auf Fachlichkeit, Belastungen, Nähe und Distanz, Rollenklarheit, die Nutzung von Unterstützungssystemen wie Supervision, Notfallplänen etc.
Abstinenz- und Abstandsgebot machen deutlich, dass eine professionelle Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabenstellung eine Auseinandersetzung mit der erforderlichen Nähe und der notwendigen Distanz unabdingbar machen – je bezogen auf das Gegenüber.
Die im Gesetz auf § 3 GPrävG nachfolgende Tabelle beschreibt in Auswahl die Tatbestände, die bereits an die Schwelle der Strafbarkeit heranreichen. Das Gewaltpräventionsgesetz nimmt wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz und das Chancengleichheitsgesetz auch bereits davor liegende Verhaltensweisen in den Blick (siehe auch Handreichung zum Umgang mit Konflikten, Mobbing, Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt). Es konkretisiert damit die Verhaltensanforderung eines respektvollen Umgangs.
Kirchliche Träger tragen die Verantwortung dafür, dass in ihren Räumen, auf ihrem Gelände, im Kontext von Veranstaltungen etc. durch ihre Mitarbeitenden Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen kein Leid geschieht. Dabei helfen Schutzkonzepte u. ä. (s. weiter unten). Bereits bei der Auswahl des Personals (bzw. bei Werkverträgen mit einem Dienstleister) ist die Haltung des Respekts gegenüber Schutzbefohlenen durch Thematisierung der Standards Verhaltenskodex, Selbstverpflichtungserklärung, Schulungsverpflichtung etc. einzunehmen.
Die Präventionsmaßnahmen beschreiben die bereits bisher vorgegebenen Instrumente der Selbstverpflichtung. Dazu gehören der Verhaltenskodex, die Aufgabenstellung der Dekanate und Dekanatsjugendreferentinnen und Dekanatsjugendreferenten / Stadtjugendreferentinnen und Stadtjugendreferenten als Präventionsbeauftragte aufgrund ihrer fachlichen Expertise als regionale Stelle für Kinder- und Jugendarbeit und Regionalgeschäftsstelle des Jugendverbandes und der Schutzkonzepte. Die regionalen Präventionsbeauftragten werden, z.B. durch Formulare und Abläufe in der Handreichung Kinderschutz, unterstützt.
Ergänzt wurden Hinweise auf ein transparentes Beschwerdeverfahren, auf Partizipation und die Kooperationspflicht mit der Zentralen Anlaufstelle.help. Als Hilfestellung für die Er- bzw. Überarbeitung eines Schutzkonzeptes werden verbindliche Bausteine genannt.
Handreichungen und Präsentationen zum Download
Um die in der EKHN geltenden Regeln gegen Mobbing, Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Missbrauch bekannt zu machen und deren Umsetzung zu erleichtern, haben die kirchlichen Dienststellen die Handreichungen mit den Bestimmungen und Ansprechpersonen zu diesem Thema erhalten.
Die Broschüren und Präsentationen sind als PDF abrufbar:
Weiterführende Links
Lieben sie Kinder mehr, als ihnen lieb ist?
Für Männer, die befürchten, Kinder zu gefährden, bietet das Angebot der Universitätskliniken Mainz und Gießen eine Möglichkeit der Abklärung und therapeutischen Intervention. Vorausgesetzt wird, dass kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist.
Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ bietet deutschlandweit ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und darunter leiden.
Handeln hilft
Mit der Plakataktion „Wir schauen hin und handeln“ leistet die EKHN einen Beitrag zur Enttabuisierung des Themas sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene. Darüber hinaus weisen die Plakatmotive darauf hin, dass jede:r Opfer eines Übergriffs sein kann. Mit der Aktion soll eine präventive Kultur der Achtsamkeit in allen Einrichtungen der EKHN gefördert werden.
Kultur des Miteinanders – DGfPI
Hier finden Sie Anregungen, die über den beschriebenen Zweck hinausgehen und allgemein interessant sind. Die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e.V. (DGfPI) hält fest, wie gelebter achtsamer Umgang in der gemeinsamen Arbeit im Verein umgesetzt werden sollte.
Auf der Website der DGfPI finden sich mögliche Anprechpartner und Ansprechpartnerinnen bzw. Expertinnen und Experten aus einer Vielzahl von Professionen nach Bundesländern geordnet.
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Schwarz: „Die Kirche muss auf der Seite der Betroffenen stehen“
Im Januar 2024 wurde die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in evangelischen Landeskirchen veröffentlicht. Ihr Ziel war es, systemische Risikofaktoren der evangelischen Kirche zu analysieren. Eine Erkenntnis daraus setzt die Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nun um: Der Bedarf nach mehr Sensibilisierung ist groß.