
Gütersloher Verlagshaus
Bibel in gerechter Sprache
veröffentlicht 01.11.2025
von Britta Jagusch
2006 erschien die Bibel in gerechter Sprache. Die Übersetzung des Ursprungstext nahm erstmals die Geschlechtergerechtigkeit in den Blick und machte deutlich, dass Frauen an den Geschehnissen und Erfahrungen der biblischen Texte beteiligt waren und damals wie heute von ihnen angesprochen sind.
Gleichwichtig ging es in der Bibel in gerechter Sprache auch um die Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog, das heißt um eine Übersetzung, die versucht, auf antijudaistische Interpretationen zu verzichten sowie um den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit, indem die sozialen Realitäten im Wortlaut der Übersetzung deutlich werden.

EKHN
Theologie der Befreiung
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Ruf nach einer Neuübersetzung der Bibel immer lauter. Er kam aus drei Richtungen: von der Befreiungstheologie, der Bewegung für die Gleichberechtigung von Frauen und dem christlich-jüdischen Dialog. Die Theologie der Befreiung entstand in den 1960er- und 1970er-Jahren in Lateinamerika. Die Armen wurden in den Militärdiktaturen immer stärker unterdrückt. Sie begannen, biblische Texte auf ihre reale Situation zu beziehen und entdeckten Gerechtigkeit als ein zentrales Thema in der Bibel. Daraus schöpften sie die Kraft, sich der Unterdrückung zu widersetzen.
Hin zu einer weiblichen Perspektive
Etwa zur gleichen Zeit begannen auch Frauen in Europa und den USA, die Bibel verstärkt aus ihrer eigenen Perspektive zu lesen. Sie setzten sich mit biblischen Frauengestalten auseinander und ärgerten sich darüber, dass in den meisten Texten eine einseitig männliche Sichtweise vorherrschte bzw. dass Übersetzungen diese Perspektive noch verstärkten. Der christlich-jüdische Dialog wurde wieder aufgenommen, nachdem die Kirchen in Deutschland ihre Mitverantwortung an der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden eingeräumt hatten.

privat
Erste Schritte auf dem Kirchentag
Doch erst ab Mitte der 1970er Jahre setzten sich vermehrt Christinnen und Christen mit der Bedeutung des Holocausts für die christliche Theologie auseinander. Auf dieser Grundlage wurde es möglich, das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum theologisch zu überdenken. In den USA veröffentlichte der Nationale Rat der Kirchen Anfang der 1980er Jahre erstmals die dort im Gottesdienst verwendeten Texte in so genannter inklusiver Sprache. Die ersten Schritte zu einer deutschen Bibelübersetzung in gerechter Sprache wurden im Umfeld des Deutschen Evangelischen Kirchentages gemacht.
Frauen nicht länger diskriminieren
Ab 1987 befassten sich Frauen aus der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland mit der Frage: Wie muss eine gottesdienstliche Sprache aussehen, die Frauen nicht diskriminiert? Sie überarbeiteten die Lutherübersetzung und die Texte der Guten Nachricht, indem sie z. B. die weit verbreitete Umschreibung des Gottesnamens mit „HERR“ durch „GOTT“ ersetzten. Einige ihrer Erfahrungen mit einer frauengerechten Sprache wurden ab 1991 von der Gruppe aufgenommen, die die biblischen Texte für den Kirchentag neu übersetzte.
Liturgische Texte in gerechter Sprache
Ab diesem Zeitpunkt wurden diese Übersetzungen in die Programmhefte der Kirchentage aufgenommen. Sie standen neben Übersetzungen der revidierten Lutherbibel 1984. Zeitweise wurden auch Texte der Einheitsübersetzung abgedruckt. Auch die Reihe „der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache“, die von Erhard Domay und Hanne Köhler zwischen 1997 und 2001 herausgegeben wurde, war ein weiterer Schritt hin zu einer vollständigen Neuübersetzung.
Diese Texte sowie die Kirchentagsübersetzungen waren Vorläufer der Bibel in gerechter Sprache. Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeinden lasen die neuen Übersetzungen und arbeiteten mit ihnen. Schon bald reichten ihnen diese Teilstücke der Bibel nicht mehr. Sie drängten auf eine neue Übersetzung der gesamten Bibel in gerechter Sprache.
Erste Vorüberlegungen beginnen 1998
Die ersten Vorüberlegungen gab es auf einer Tagung in Kassel 1998. Dort wurde diskutiert, ob die vorhandenen Bibeln geschlechtergerecht, sozial gerecht und gerecht gegenüber Jüdinnen und Juden übersetzt sind. Die Diskussionen führten dazu, dass 2001 in der Reihe „der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache“ Band 4: „Die Lesungen“ erschien.
Im gleichen Jahr fand Ende Oktober in der Evangelischen Akademie Arnoldshain eine Tagung zu inklusiver Sprache statt. Am Reformationstag gründete sich dort ein Kreis von Theologinnen und Theologen, die planten, eine neue Bibelübersetzung herauszugeben. 52 Übersetzerinnen und Übersetzer wurden gewonnen, ebenso ein Beirat aus 15 Personen, der das Projekt von Beginn an begleitete, förderte und unterstützte.

privat
Große ehrenamtliche Leistung
Herausgabekreis, Beirat, Übersetzerinnen und Übersetzer und die Spendenbeauftragte arbeiteten von Anfang an ehrenamtlich. Wichtig war die Bereitschaft des Gütersloher Verlagshauses, ein Risiko einzugehen, längst bevor ein wirtschaftlicher Erfolg absehbar war.
Unterstützung der EKHN
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ließ sich von der Idee einer neuen Bibelübersetzung überzeugen. Sie richtete für fünf Jahre eine Projektstelle ein. Der Beschluss der Kirchenleitung dazu lautete: „Die Bibel ins Gespräch zu bringen und für eine neue Generation attraktiver und zugänglicher zu machen, bleibt eine genuin kirchliche Aufgabe, und ein kirchlicher Kontext ist für dieses Projekt mithin unverzichtbar.“ Die Projektstelle hatte bis zum 31. Oktober 2006 Pfarrerin Hanne Köhler inne.

Gunther Pauly – Gunther’s Photo Art
Ökumenisches Projekt
Das Projekt war ökumenisch angelegt, sowohl was die Beteiligung von Übersetzenden als auch was die Verwendbarkeit der Bibel betraf. Dass dennoch die Mehrzahl der 52 Übersetzenden einen protestantischen Hintergrund hatte, lag vor allem daran, dass die Wurzeln des Projekts in den Übersetzungen für die Deutschen Evangelischen Kirchentage sowie dem Band mit Lesungen für evangelische Gottesdienste lagen. Es waren aber auch katholische Theologen und Theologinnen an den Übersetzungen, im Herausgabekreis und im Beirat beteiligt. Vom Umfang her sollte die Bibel in gerechter Sprache ökumenisch verwendbar sein, denn sie umfasste auch die sogenannten Deuterokanonischen Bücher oder Apokryphen, die in der römisch-katholischen Kirche zur Heiligen Schrift gehören.
Wer hat mitgearbeitet?
Alle 52 Übersetzenden waren ausgewiesene Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftler. Sie kamen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Alle sprachen Deutsch als Muttersprache. Sie stützten ihre Übersetzungen auf Forschungsarbeiten über die biblischen Bücher, die sie jeweils übersetzten. Sowohl evangelische als auch römisch-katholische Theologinnen und Theologen waren unter ihnen. Viele hatten Lehrstühle an Hochschulen in der Schweiz, Deutschland, USA, Belgien und den Niederlanden. Dass unter den Übersetzenden etwa 80 Prozent Frauen waren, ist eine Besonderheit. An den vorhandenen deutschsprachigen Bibelübersetzungen hatten bislang keine Frauen mit übersetzt.
Herausgeber und Verein
Der Herausgeberkreis der Bibel in gerechter Sprache umfasste dreizehn Theologinnen und Theologen, von denen viele gleichzeitig mit übersetzt haben. Seit November 2012 arbeitet der Herausgabekreis der Bibel in gerechter Sprache in neuer Arbeits- und Organisationsform: Als eingetragener Verein „Bibel in gerechter Sprache e.V.“ lassen sich die mit der Übersetzung verbundenen Ziele unaufwändiger und unkomplizierter weiter verfolgen, gerade auch im Bereich der Bildungsarbeit.
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