Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Konferenz mit Frauen an langen, weißen Tischen

© A. Mehlhorn

Austausch während der ESWTR-Konferenz
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Gastbeitrag: Unterwegs zu nachhaltiger Gerechtigkeit

veröffentlicht 30.09.2025

von Dr. Annette Mehlhorn, Pfarrerin i.R.

Wo tun sich Inmitten globaler Machtkämpfe und Neuordnungen Potentiale für gerechte und nachhaltige Entwicklungen auf? Welchen Beitrag können jüdische, christliche, muslimische und buddhistischer Traditionen für die gemeinsame Zukunft leisten? Wie Frauen verschiedener Generationen aus Wissenschaft und Kultur zwischen Theorie und Praxis aus ganz Europa Perspektiven eröffnen, zeigt Dr. Annette Mehlhorn, Pfarrerin i.R., in ihrem Gastbeitrag. Sie schildert, wie Frauen nach Wegen suchen, auf denen gläubige Menschen zu Kanälen der Weitergabe „lebendigen Wassers“ werden können.

Wissenschaft und Forschung werden von vorherrschenden Machtstrukturen bestimmt. Darum verlieren sie oft den Blick für weite Teile menschlicher Wirklichkeit. Dass dazu unter männlicher Vorherrschaft vor allem die Wirklichkeit von Frauen gehört, ist seit vielen Jahren bekannt: Ob in Medizin, Technologie oder Geschichte, in vielen Bereichen von Wissenschaft und Forschung gilt bis heute das „Normalmaß Mann“. Diese Erfahrung gab 1986 den Gründungsimpuls für die Europäische Gesellschaft von Frauen in der Theologischen Forschung (Englisch: European Society of Women in Theological Research ESWTR). Seitdem widmet sich dieses wissenschaftlich interdisziplinär, interkulturell, ökumenisch/interreligiöse und internationale Netzwerk auf ganz eigene Weise der theologischen Frauenforschung. Alle zwei Jahre versammeln sich Mitglieder und eingeladene Referentinnen in einer Europäischen Stadt zur Konferenz. So im August diesen Jahres in der Philipps-Universität in Marburg. Finanzielle Förderbeiträge aus der EKHN waren daran ebenso beteiligt, wie einige ihrer Theologinnen.

Ernüchterung über aktuelle Situation der Frauen

„Wer hätte gedacht, dass die Entwicklungen in Sachen Frauenrechte und Diversity in wenigen Jahren derart zurückgeworfen werden, wie wir es derzeit beobachten müssen?“ Mit dieser Einschätzung  fasste die Bischöfin Beate Hofmann (EKKW), selbst seit vielen Jahren Mitglied der ESWTR zusammen, was gewiss alle unter den rund 100 anwesenden Frauen empfinden. Doch auch ihre Vermutung, dass gerade im Kontext der ESWTR neue Perspektiven eröffnet werden können fand Bestätigung durch diese Konferenz. Dafür bietet schon der eigene Rahmen solcher Konferenzen und die Vielfalt der Beitragenden, aber auch der achtsame und respektvolle Umgang miteinander erstaunliche Möglichkeiten. Neben gehaltvollen Hauptvorträgen eröffnet dabei ein buntes kulturelles und spirituelles Programm und ein breites Spektrum von Kurzvorträgen den Reichtum unterschiedlicher Herkünfte, Themen, Methoden und Zugänge.

Angela Standhartinger

© A. Mehlhorn

Eine Nonne am Mikrophon

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Muslimische Referentin

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Skulptur einer Frau mit goldener Krone an einer gotischen Mauer

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Angela Standhartinger

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Eine Nonne am Mikrophon

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Muslimische Referentin

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Skulptur einer Frau mit goldener Krone an einer gotischen Mauer

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Angela Standhartinger

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Eine Nonne am Mikrophon

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Muslimische Referentin

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Skulptur einer Frau mit goldener Krone an einer gotischen Mauer

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Die evangelische Theologin Prof. Dr. Angela Standhartinger referierte ebenfalls im Rahmen der ESWTR, sie war zudem eine der Mitorganisatorinnen

Unterschiedlichste Erfahrungen und Frömmigkeitsstile fanden Gehör

Aus unterschiedlichen Religionen tauschten die Frauen ihre Perspektiven aus

Die Heilige Elisabeth inspiriert bis heute

Zusammenhänge zwischen sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Veränderung

Wer dabei nach einem roten Faden sucht, findet diesen am Ehesten in der Bereitschaft, respektvoll zuzuhören um in der Vielfalt der Blickwinkel eine eigne Position zu entwickeln. Gesucht wird nach Potentialen und Horizonten zur Entfaltung von Befähigungen. Dabei spielt ein kritischer Blick auf Grenzen, die sich dieser Entfaltung entgegenstellen eine wichtige Rolle.  So zum Beispiel im Nachdenken über das Gerechtigkeitskonzept von Martha Nussbaum (Katja Winkler, Linz). Aus interkultureller, interkonfessioneller und interreligiöser Perspektive wird dazu auf die Quellen religiöser Kulturen geblickt. Dadurch eröffnet sich ein schillerndes Prisma von Gerechtigkeitskonzepten.  Jeweils unterschiedlich wird in den verschiedenen religiösen Traditionen auf das Zusammenspiel von äußerer, sozialer Gerechtigkeit mit dem inneren transformativen Prozess persönlicher Veränderung geblickt.  Michal Bar-Asher Siegal aus dem israelischen Beersheba,  die Buddhistin Carola Roloff und die Muslima Mira Sievers aus Hamburg begegneten einander hier mit der orthodoxen Theologin Ekaterini Tsampouni aus Thessaloniki.

Einigkeit, dass Erde erhöhte Aufmerksamkeit, Respekt und Engagement benötigt

Unterschiedliche schöpfungstheologische Konzepte trafen in Marburg aus Mitteleuropa in christlicher (Julia Enxing) und muslimischer (Rana Alsoufi) Perspektive, aus Island  (Arnfríður Guðmundsdóttir) und aus dem indisch-buddhistischen Gedankenhorizont (Pragati Sahni) aufeinander. Schnittmengen waren dabei manchmal schwer auszumachen. Am Ehesten sind sie wohl im Einverständnis zu finden, dass unsere „erweiterte Familie“, zu der die gesamte belebte und unbelebte Erde gehört, erhöhte Aufmerksamkeit, Respekt und Engagement braucht.

Praktische Beispiele aus Lateinamerika und Katalonien brachte dafür Eneus Forcano i Aparicio  aus Barcelona. So setzen sich die „Wasserwächterinnen“ in Guatemala für den Schutz der „Großmutter See“ als Quelle des Lebens ihrer indigenen Gemeinschaften ein. Sie sammeln Müll, Plastik und Abfälle, zeigen Mut und Fantasie, indem sie sich bei den kommunalen Behörden Gehör verschaffen. So bewegen sie diese  zur Verantwortungsübernahme für den Schutz des Wassers. Nach den furchtbaren Überschwemmungen im Oktober 2025 in der Gegend von Valencia lebte auch in Katalonien der Widerstand wieder auf, um Marschlandschaften und die Süßwasserbarriere an der Küste von Barcelona mi Delta des Flusses Llobregat zu erhalten. Als Direktorin der Vereinigung Justícia / Pau (Gerechtigkeit und Frieden) setzt Focano sich für Netzwerke ein, in denen lokale Gemeinschaftsstrukturen und die Wiederaneignung von Gemeingütern gefördert werden.  Dazu passt die Idee einer  „Theologie der Nachbarschaft“, die die finnische Theologin Marianne Bjelland Kartzow, aus Oslo in ihrer „Down-to-Earth“-Exegese mitbrachte. Persönliche Nähe und Beziehungsaufnahme im Blick auf gemeinsame Anliegen im Alltag als traditionelles Handlungsfeld von Frauen könnte dann vielleicht kostbarer sein als eine überhöhte Symbolik der „Kinder Abrahams“.

Horizont weiten

Die Vielfalt der ESWTR überschreitet, wie sich an diesen Beispielen zeigt, schon längst den europäischen Horizont. Was wohl auch wichtig ist, weil ein Zusammenschluss von wissenschaftlich forschenden und praktisch engagierten Frauen verschiedener Kulturen und Religionen in dieser Form vermutlich einzigartig ist. Und natürlich spiegeln die internen Debatten der Gesellschaft auch die Kontroversen um die Bedeutung nicht-binärer Identität in ihrer Relevanz für die Zugehörigkeit zur ESWTR. Vorstandsmitglied Sofia Nikitaki stellte diese Debatte in einen heiteren Kontext, so dass sie auf leichte Weise weitergedacht werden kann. Raum für Zwischentöne und Horizontüberschreitungen bieten dabei sowohl die  Kurzvorträge (diesmal rund 35), in denen Möglichkeiten für experimentelle Gedanken und Projekte gegeben wird, als auch Andachten und Zeremonien, Ausflüge ins nähere Umfeld, das Kulturprogramm und die Feiern. In diesem Jahr wurde dabei einer Grande Dame der feministischen Theologie gedacht, Luise Schottroff.

Nächste Konferenz 2027 in Spanien

Die nächste internationale Konferenz der ESWTR ist für 2027 in Avila/Spanien geplant und trägt den passenden Titel: „Frauen und Prophetie. Mystik als transformative Handlung in der Welt.“ Im Jahr dazwischen finden in einzelnen Ländern nationale Konferenzen und Fachforen statt. Ein großer Dank geht für die finanzielle Förderung dieser inspirierenden Zusammenkunft an die EKHN, die EKKW, die EKD, mehrere katholische Bistümer, die DFG und freie Verbände, zu denen auch die in der EKHN beheimatete Bibel in gerechter Sprache und der Verein zur Förderung feministischer Theologie in Forschung und Lehre gehören.

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