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So weit so gut

veröffentlicht 29.01.2024

von Impulspost-Redaktion

Rund 15 Prozent aller Beschäftigten arbeitet gelegentlich oder regelmäßig am Sonntag. Doch stellt sich die Frage: Welche Sonntagsarbeit ist gesellschaftlich notwendig und lebensdienlich und welche ist es nicht?

Bei den Rettungsdiensten, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen dürfte die Antwort unstrittig sein. Diese Arbeit ist auch sonntags unverzichtbar. Doch wie steht es z. B. mit dem Einzelhandel? Das aktuelle hessische Ladenöffnungsgesetz erlaubt vier verkaufsoffene Sonntage. Doch Initiativen wie Selbstbestimmter Sonntag fordern, den Sonntagsverkauf weitgehend zu liberalisieren.

Was tun am und was tun mit dem Sonntag?

Wie weit wollen wir gehen? Wo ziehen wir die Grenze, um möglichst vielen einen arbeitsfreien Sonntag zu ermöglichen?

Höret dies, die ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande zugrunde richtet und sprecht: Wann will denn der Neumond ein Ende haben, dass wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, dass wir Korn feilhalten können.

So lautet die Klage im Buch Amos (Am 8,5)

Das ist 2.800 Jahre her und klingt sehr aktuell. Dass am arbeitsfreien Sabbat nicht gekauft und verkauft werden konnte, stieß offenbar schon damals einigen wirtschaftlich ziemlich sauer auf. Und heute? Statt der Kornspeicher sollen die Geschäfte geöffnet werden. Am besten immer.

So fordert die Initiative Selbstbestimmter Sonntag, zu der unter anderem Kaufhof und Karstadt gehören, den Sonntagsverkauf weitgehend zu liberalisieren. Begründung: verkaufsoffene Sonntage seien Teil der Freizeitgestaltung, bei denen sich der Konsument frei entfalten könne. Eine perfide Argumentation: Legt sie doch nahe, dass diejenigen, die für den Sonntag als Ruhetag eintreten, mündige Bürger nur gängeln wollen. Demgegenüber erscheinen die Sonntagsverkäufer als Verfechter von Freiheit und Selbstbestimmung.

Freiheit spielt auch im hessischen Ladenöffnungsgesetz eine Rolle – zumindest semantisch. Während in den meisten anderen Bundesländern die Geschäftszeiten durch ein Ladenschlussgesetz geregelt werden, hat Hessen das Ladenöffnungsgesetz. Mit Öffnung statt Schluss will der Gesetzgeber offenbar die Freiheit betonen. Gemeint ist nicht die Freiheit zur Besinnung, die Freiheit zur Muße, die Freiheit, den Sonntag mit der Familie oder mit Freunden zu verbringen, die Freiheit, Sport zu treiben, die Freiheit, Gemeinschaft in Vereinen zu erleben, die Freiheit, einem Hobby nachzugehen oder die Freiheit, die Seele einfach mal baumeln zu lassen. Nein, gemeint ist die Freiheit an vier Sonntagen im Jahr die Läden öffnen, kaufen und verkaufen zu können. Der Grad der Freiheit misst sich demnach an den Möglichkeiten des Konsums.

Welche Sonntagsarbeit ist gesellschaftlich notwendig und lebensdienlich und welche ist es nicht?

Bei den Rettungsdiensten, in Krankenhäusern oder Pflegeheimen dürfte die Antwort unstrittig sein. Diese Arbeit ist auch sonntags unverzichtbar. Doch wie steht es – um nur ein Beispiel zu nennen – mit den Sonntagsbäckereien? Sonntags in ein frisches Brötchen zu beißen, setzt voraus, dass zuvor andere dafür arbeiten müssen. Und ist Sonntagsarbeit, die durch den Brötchenkauf beim Sonntagsbäcker anfällt, anders zu bewerten als die Arbeit, die wir beim sonntäglichen Essen in einem Restaurant verursachen? Da dürfte die Antwort schon weniger eindeutig ausfallen.

Was ist mit Pfarrerinnen und Pfarrern? Die arbeiten doch sonntags auch, das ist doch ihr Hauptarbeitstag ist, ist immer wieder zu hören. Das stimmt so nicht! Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten sonntags nicht, sie feiern Gottesdienst. Und feiern ist erlaubt!

Nichts tun und den Sonntag einfach geschehen lassen

Die Fenster der Geschäfte sind verriegelt.
Und schlafen sich wie Menschenaugen aus.
Die Sonntagskleider riechen frisch gebügelt.
Ein Duft von Rosenkohl durchzieht das Haus …
Auf dem Balkon sitzt man, von Licht umflossen.
Ein Grammophon kräht einen Tango fern.
Man holt sich seine ersten Sommersprossen.
Und fühlt sich wohl. Das ist der Tag des Herrn.

Von dem französischen Schauspieler und Sänger Maurice Chevalier stammt der Satz: „Es gibt Millionen Menschen, die sich nach Unsterblichkeit sehnen, die aber nicht wissen, was sie an einem verregneten Sonntagnachmittag anfangen sollen.“ Die Schriftstellerin Mascha Kaléko gehört nicht dazu. Sie weiß, was sie mit dem Sonntag „anfangen“ will. Ihr Plädoyer: nichts tun und den Sonntag einfach geschehen lassen. In ihrem Gedicht „Sonntagmorgen“ heißt es:

Sag doch mal wieder was Liebes.
Irgendwem. Einfach so. Unverhofft.
Dass das blaukarierte Kleid deiner Nachbarin vortrefflich sitzt.
Die Witze deines Großonkels tagaufhellend sind.
Lob deinen Jüngsten über den grünen Klee.
Bestaune den Duschbariton deines Gatten.
Erheb die Himbeertorte deines Bäckers zur Leibundmagenspeise.
Na los! Lass dir was einfallen.
Drei Lobeshymnen oder fünf einfache Komplimente sind drin.
Mindestens.
Weil heute Sonntag ist.

Nun gibt es sicherlich ungezählte Zeitgenossen, die es sonntags gerade nicht im Haus hält. Und im Zeitalter der Streaming-Dienste ist das Grammophon ja auch von vorgestern. Die Autorin Susanne Niemeyer macht einen anderen Vorschlag. Sie plädiert für die direkte Kommunikation, die persönliche Ansprache der Mitmenschen, die mit Lob nicht geizt. Der Sonntag – freie Zeit für das Leben, für die Lieben und für das Lachen.

Verkaufsoffene Sonntage als Herzschrittmacher für den Einzelhandel

Verkaufsoffene Sonntage gelten als Herzschrittmacher für den Einzelhandel und werden immer wieder als Standortvorteil für eine Kommune bewertet. Doch das war nicht immer so. Franz Segbers, der frühere Referent für Ethik und Sozialpolitik im damaligen Diakonischen Werk in Hessen und Nassau (heute: Diakonie Hessen) hat darauf aufmerksam gemacht, dass bis zum ersten Ladenschlussgesetz in Deutschland, das am 1. Oktober 1900 in Kraft trat, sonntags die Läden zwei oder drei Stunden geöffnet hatten. Nur in wenigen Großstädten wie etwa Frankfurt oder Dresden galt die volle Sonntagsruhe

Sie legten Wert auf Modernität und Fortschrittlichkeit. Kaufrausch war verpönt. Denn Städte und Gemeinden, die sonntags die Läden öffneten, galten damals als veraltet und rückständig. Wenn heute Kommunen als familien- und menschenfreundlich wahrgenommen werden, gerade weil sie keine verkaufsoffenen Sonntage haben wollen und Sonntagsarbeit so weit wie möglich reduzieren, dann hat der freie Sonntag doch Zukunft. Oder?

Die Sonntagsruhe ist seit Jahrhunderten umstritten

Der Einzelhandel ist gebeutelt, auch in Frankfurt. Die Konkurrenz aus dem Netz ist groß, dort kann man rund um die Uhr nach Lust und Laune Waren bestellen. Es wird immer schwerer, Kundschaft in die Geschäfte zu locken, wenn die nicht grade mitten auf der Zeil liegen. Und sonntags, wenn die ganze Familie mal Zeit fürs gemeinsame Shoppen hätte, darf man nicht öffnen.

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Quelle

Studie des Statistischen Bundesamt: Atypische Arbeitszeiten: Mehr als ein Viertel der Beschäftigten arbeitete im Jahr 2023 am Wochenende (April 2025)

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