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Oberstufenschüler sitzen im Kreis, davor sind ein christliches Kreuz, eine Klangschale und ein siebenarmiger Leuchter

© Tobias Frick / fundus-medien.de

Auch im Religionsunterricht ist es möglich, zu meditieren
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Christliche Meditation praktizieren

veröffentlicht 09.01.2024

von Rita Haering

In der christlichen Meditation richten sich Praktizierenden danach aus, einen „Urgrund“ wahrzunehmen, den inneren Sinn der göttlichen Offenbarung zu erkennen.

Alle großen Weltreligionen kennen die Praxis der Meditation, wobei sie in den östlichen Religionen im Mittelpunkt steht. Im Christentum spielt sie eher eine untergeordnete Rolle, hier hat sich vor allem im Mittelalter eine mystische Tradition entwickelt, die im 15. und 16. Jahrhundert verboten wurde.

Verbindende Kraft der Meditation

Die christlichen Mystiker haben danach gestrebt, den Verstand und das Denken zur Ruhe zu bringen, um einen „Urgrund“ wahrnehmen zu können. Ziel ist, den inneren Sinn der göttlichen Offenbarung zu erkennen. Der Hinduismus kennt eine ähnliche Idee: Hier geht es darum, dem „Sein hinter allem Seienden“ auf die Spur zu kommen.
Deshalb geht ein Teil der  Religionswissenschaftler davon aus, dass Meditation eine Praxis ist, die die Spiritualität des Ostens mit der des Westens über religiöse und konfessionelle Grenzen hin verbindet. Kritiker hingegen stellen den universalen Charakter der Meditation in Frage, denn sie gehen davon aus, dass religiöse Erfahrungen stark von der jeweiligen Kultur und den unterschiedlichen Glaubensinhalten vorgeprägt sind. Doch heute gibt es Christinnen und Christen, die diese Form christlicher Spiritualität wieder praktizieren.

Anleitung zur christlichen Meditation: Dem göttlichen Schatz im Menschen begegnen

Es gilt, den Schatz zu heben, der in jedem Menschen verborgen liegt. In mir, in dir. Es ist das eigene wahre Sein, der eigne tiefe Wesensgrund. Es ist der Ausdruck des Göttlichen im Menschen. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckart beschreibt dies so: „Geh in deinen eigenen Grund, denn in deinem Grund ist dein Sein und Gottes Sein ein Sein“. Verschüttet liegt dieser Schatz unter den Vorstellungen wie das Leben zu funktionieren hat oder unter dem Bemühen um Anerkennung.  Vergraben ruht dieser unermesslich wertvolle Schatz unter dem Gedanken, nicht gut genug zu sein, aber auch unter den Urteilen, die wir über Nachbarn oder Kollegen fällen.

An die Glaubenspraxis der frühen Christen erinnern

Wie dieser Schatz wieder freigeräumt werden kann, haben sich Christen aus dem 3. bis 5. Jahrhundert n. Chr. erfahren. Sie hatten sich in einer weltgeschichtlichen Umbruchszeit in die Wüsten Ägyptens, Syiens und Jordaniens zurückgezogen. Dort machten Sie die Erfahrung der Begegnung mit „dem Einen, der jenseits aller Dinge ist.“  Diese uralte, christliche Glaubenspraxis, die so genannte Mystik, wurde spätestens im 15. Und 16. Jahrhundert n. Chr. in den Hintergrund gedrängt. EKHN-Pfarrer Sven-Joachim Haack gehört heute zu denjenigen, der Menschen für diese Form christlicher Spiritualität wieder sensibilisiert. Er beschreibt zwei kontemplative Wege, die auf das Offenwerden für Gott vorbereiten: 

1. Übungspraxis der Sammlung:

Schaffen Sie eine ruhige und angenehme Atmosphäre:
Wählen Sie einen stillen Ort. Wenn Sie mögen, können Sie eine Kerze anzünden.

Bereiten Sie ein Zeitsignal vor:
Damit Sie während der Meditation nicht durch den Blick durch die Uhr abgelenkt werden, sollte ein angenehmer Ton die Praxis beenden, beispielsweise durch einen angenehmen Handyklingelton oder durch eine Meditationsuhr. Am Anfang kann es durchaus ausreichend sein, 5 Minuten zu meditieren. Es ist empfehlenswert, nicht an die Grenzen der eigenen, vermuteten Aufmerksamkeitsspanne zu gehen.

Angenehme Sitzhaltung:
Setzen Sie sich bequem aufgerichtet hin, so selbst aufgerichtet wie ihnen möglich. Nehmen Sie wahr, auf welche Weise Ihre Füße den Boden berühren. Sind Ihre Beine übereinandergeschlagen? Wie fühlen sich die anderen Regionen Ihres Körpers an? Ändern Sie möglicherweise Ihre Position.  Nehmen Sie sich soviel Zeit, bis sie eine beschwerdefreie und  eine Stille einladende Sitzhaltung gefunden haben.

Sie können nun die Variante „Atem“ oder „Gebetswort“ wählen.

Variante "Atem":

Geben Sie sich die Zusage:
„Ich lasse mich erfüllen mit dem alles verbindenden Odem. Ich lasse mich eins werden mit dem Atem.“

Richten sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem:
Folgen Sie  dem Atem, sein Kommen und Gehen. Nehmen Sie wertfrei wahr: Fließt er in den Bauch? Fließt er in den Brustkorb? Ist er tief? Ist er flach? Gibt es eine Pause zwischen dem Ein- und Ausatmen?

Kehren Sie immer wieder freundlich zur Übung zurück:
Wenn Gedanken, Gefühle und Stimmungen kommen, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf den Atem zurück.

Variante "Gebetswort"

Wählen Sie ein Gebetswort:
Gebetswörter sind Formulierungen mit beruhigendem Klang, die sich gut mit Hingabe füllen lassen. Beispiele sind:
- Ruhe,
- Shalom,
- Du in mir, ich in dir,
- Nimm alles von mir, was mich hindert zu dir,
- Gib alles mir, was mich fördert zu dir.                                                                  
- Jesu

Geben Sie sich die Zusage:
„Ich lasse mich eins werden mit dem Klang meines Wortes.“

Lauschen Sie dem Klang:
Denken Sie nicht über die Bedeutung des Wort nach, sondern lauschen Sie dem inneren Klang des Wortes.

Das Zeitsignal beendet Ihre Praxis. Es empfiehlt sich, noch einen Moment nachzuspüren und sich evtuell zu verneigen.

2. Übungspraxis der Bewusstseinsleerung

Es gibt eine weitere christliche Gebetsform ist die Bewusstseinsleerung. Bei diesem Weg beginnt der Übende wieder beim Spüren des Körpers und geht ihn in Gedanken von unten nach oben durch. Dann weitet er sein Spüren über die Körpergrenze hinaus. Er wird ganz Lauschen, Spüren, ist ganz Lauschen, Fühlen, Spüren. Er weitet sein Fühlen, Spüren, Lauschen bis es auf nichts konkret mehr zugreift. Es hat keinen Inhalt mehr. Es spürt nicht auf etwas. Es spürt das Spüren, die Präsenz, die Gegenwärtigkeit. Reines Gewahrsein, Schauen ins nackte (auf nicht Konkretes bezogene) Sein. Hier kommen der Verstand, Emotionen und der Wille zur Ruhe, der Betende verhält sich ganz passiv, denn es geschieht etwas mit ihm: Er wird offen für das Erwachen seines wahren Wesens.

Die Wirkung

Die Erfahrung zeigt, dass die Meditationspraxis bei vielen Menschen nach rund drei Monaten spürbar wird, was sich im Alltag vor allem durch zunehmende Gelassenheit deutlich wird. Der evangelische Kontemplationslehrer und Klinikseelsorger Pfarrer Sven-Joachim Haack hat erlebt, dass bei Praktizierenden die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber wächst, dass die Vertrautheit mit den eigenen Macken und einer größeren Verantwortung sich selbst gegenüber zunimmt. Viele Menschen spüren deutlicher, was ihre eigentliche Aufgabe ist, was sie dem Leben geben können – und was sie besser bleiben lassen, auch wenn es von ihnen gefordert wird. 

Risiken vermeiden

In ihrem Buch "Mystik und Coaching" empfiehlt die Theologie-Professorin Sabine Bobert auch, sich an einen erfahrenen Begleiter zu wenden. Denn eine fehlgeleitete Meditation berge die Gefahr von körperlichen und geistigen Schäden. Sie schreibt: "Alleine zu üben ist jedoch riskanter und für viele entmutigender als das Üben im Austausch mit anderen." Schutz vor spirituellem Wahn können Rückmeldungen aus der Gemeinschaft, Korrekturen durch einen Lehrer sowie Rituale bieten. Die Theologin rät Menschen mit seelischen Erkrankungen dazu, weiterhin alle psychologischen Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und nicht im Alleingang mit den Gebetsworten zu üben. Sie macht klar, das spirituelle Übungen den Arztbesuch nicht ersetzen können. Grundsätzlich geht sie aber auch davon aus, dass Gebet und Meditation die Selbstheilungskräfte aktivieren können.

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