epd-bild/Heike Lyding
Seelsorgerin: Kirche muss mehr für Flüchtlinge tun
veröffentlicht 24.07.2024
von Peter Bernecker
Die evangelische Pfarrerin im Kirchlichen Flüchtlingsdienst am Flughafen Frankfurt, Tanja Sacher, hat die Kirche zu mehr Engagement für Schutzsuchende aufgerufen.
"Der Krieg in der Ukraine geht weiter. Die Leute brauchen mehr Unterstützung", sagte die Seelsorgerin für ukrainische Geflüchtete dem Evangelischen Pressedienst (epd). Regelmäßig kämen Menschen aus der Ukraine am Flughafen an und sagten: "Wir wissen nicht, wohin!" In den Räumen der kirchlichen Dienste am Flughafen erzählten sie unter Tränen, was sie erlebt hatten. Der Seelsorgerin erwiderten sie: "Gott sei Dank, Sie verstehen mich." Die Mitarbeitenden organisierten die Weiterfahrt oder eine Unterkunft.
Seelsorgerin und Übersetzerin
Als Russisch sprechende und therapeutisch geschulte Seelsorgerin hielten ukrainische Flüchtlinge unabhängig von ihrem Wohnort monate- oder jahrelangen Kontakt mit ihr, berichtete Sacher. Sie erhalte Anrufe oder Nachrichten, dass die Menschen Alpträume, Panikattacken oder Depressionen hätten. Regelmäßig werde sie in Krankenhäuser gerufen, um zu übersetzen und Patienten beizustehen. Auch betreue sie Ukrainerinnen und Ukrainer, denen die Bundespolizei trotz der Massenzustromrichtlinie der EU die Einreise verweigere. Diese Menschen dürften nur in Deutschland bleiben, wenn sie einen Asylantrag mit ungewissem Ausgang stellten.
Auf diese Weise lande seit einigen Monaten etwa eine ukrainische Familie pro Woche am Flughafen Frankfurt als Asylantragstellerin in einer Flüchtlingsunterkunft, was der gesetzlichen Regelung eigentlich zuwiderlaufe, berichtete Sacher. Die Pfarrerin ist auch Ansprechpartnerin für Institutionen, die sonst nicht weiterwissen. An einem Sonntagabend habe die ukrainische Botschaft in den USA sie telefonisch um Hilfe gebeten, erzählte Sacher. Die Polizei habe ein achtjähriges Mädchen aus der Ukraine mit zwei Beinprothesen an der Weiterreise gehindert. Das Mädchen habe mit einer Begleiterin durch den Transit gehen und zur medizinischen Behandlung in die USA weiterfliegen wollen.
"Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist"
Die Pfarrerin holte daraufhin die Frauen ab, erklärte die Umstände, begleitete sie durch die Passkontrolle und bis zum Flugzeug. "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist", betonte Sacher. Viele der Flüchtlinge hätten posttraumatische Belastungsstörungen und müssten eine innere Zerrissenheit aushalten.
"Wir könnten viel mehr machen!", sagte die Pfarrerin. Ein kleines Beispiel sei das Schaschlik-Grillen, das die Evangelische Kirchengemeinde in Steinbach (Taunus) an Himmelfahrt mit Ukrainerinnen und Ukrainern gemeinsam veranstaltete. Statt der geplanten 50 Personen seien 90 gekommen. Ein Teilnehmer habe glücklich geseufzt: "Zum ersten Mal, seit ich in Deutschland bin, habe ich das Gefühl der Teilhabe!"
© epd: epd-Nachrichten sind urheberrechtlich geschützt. Sie dienen hier ausschließlich der persönlichen Information. Jede weitergehende Nutzung, insbesondere ihre Vervielfältigung, Veröffentlichung oder Speicherung in Datenbanken sowie jegliche gewerbliche Nutzung oder Weitergabe an Dritte ist nicht gestattet.
Das könnte dich auch interessieren
Von Vielfalt, Fukushima und der Ökumene: Kirchenpräsident Volker Jung zieht Bilanz nach 16 Jahren im Amt
Die Ereignisse der vergangenen anderthalb Jahrzehnte reichen von der Finanzkrise und dem Atomunglück in Fukushima über Migrationswellen und den Klimawandel bis hin zu einer weltweiten Pandemie und Kriegen in Europa und Nahost. Im selben Zeitraum begann die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), sexualisierte Gewalt aufzuarbeiten, feierte 500 Jahre Reformation und brachte mehr Vielfalt in den Familienbegriff – begleitet von Strukturreformen. In seinem letzten Bericht vor der EKHN-Synode zieht Kirchenpräsident Volker Jung Bilanz – und erntet ausgiebigen stehenden Applaus der Synodalen.
Evangelische Hilfe für die Ukraine - auch im Winter
Kriegsopfer in der Ukraine und Geflüchtete brauchen nach mehreren Jahren Krieg weiterhin Unterstützung. Für den Winter werden auch Heizmaterial, Heizöfen, Decken und Winterkleidung benötigt. Dafür braucht es Spenden. Die EKHN hilft mit einem Flüchtlingsfonds. Die Diakonie Katastrophenhilfe und das Gustav-Adolf-Werk organisieren Hilfe vor Ort.