Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Christiane Tietz

© EKHN / Peter Bongard

Prof. Dr. Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin der EKHN
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  • Frieden statt Krieg und Gewalt

Kirchenpräsidentin Tietz im Interview zur neuen EKD-Friedensdenkschrift

veröffentlicht 11.11.2025

von Pressestelle der EKHN

Wie kann die evangelische Kirche Orientierung bieten angesichts globaler Konflikte und ethischer Dilemmata? Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz ordnet im Interview die neue EKD-Friedensdenkschrift ein und betont die Bedeutung des Evangeliums für unsere Fähigkeit zum Frieden.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) stellte im Rahmen ihrer Synodentagung in Dresden ihre neue Friedensdenkschrift vor: „Welt in Unordnung – Gerechter Frieden im Blick“. Das Grundlagenpapier, das die Positionen der bisherigen Denkschrift von 2007 angesichts einer deutlich veränderten Weltlage neu ausbuchstabiert, bietet friedensethische Orientierung für Politik und Gesellschaft. Die EKD ringt in der Friedensdenkschrift um Antworten auf neue Herausforderungen durch die Zunahme an kriegerischen Konflikten weltweit, geopolitische Verschiebungen, hybride Kriegsführung, neue Waffentechnologien, die Klimakrise und den Druck, dem liberale Demokratien weltweit ausgesetzt sind. Wir bitten Kirchenpräsidentin Frau Prof. Dr. Tietz um ihre Einschätzung des Grundlagenpapiers.

Frau Prof. Dr. Tietz, wie schätzen Sie die neue Friedensdenkschrift ein?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Ich begrüße den Realitätssinn der neuen Friedensdenkschrift, der ernstnimmt, dass wir mit unserem Nachdenken über Frieden in einer neuen weltpolitischen Lage sind. Friedensethik geschieht immer im Kontext von konkreten Herausforderungen und Umständen. Wir mussten in den letzten Jahren erkennen, dass die Welt sich – anders, als wir nach dem Mauerfall dachten – leider nicht stetig zu mehr Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit, zu mehr Demokratie weiterentwickelt. Im Gegenteil.

Kann man den Realitätssinn in der neuen Friedensdenkschrift auch theologisch einordnen?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Ja, durchaus. Der Text versteht diese beklemmenden Entwicklungen als Ausdruck der Ambivalenz und Sündhaftigkeit des Menschen. Auch das gehört zum Realitätssinn der Denkschrift: Menschen haben die Möglichkeit zu tiefem menschlichen Miteinander, aber eben auch zu Bosheit und Gewalt. Der im Text unterstrichene relative Vorrang des Schutzes vor Gewalt und damit von rechtserhaltender Gewalt (die ihrerseits immer am Recht orientiert sein muss) leuchtet mir deshalb für eine gegenwärtige Friedensethik ein.

Welche Anfragen haben Sie an die Friedensdenkschrift, welche Fragen bleiben für Sie offen?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Offen bleibt für mich, wie die Denkschrift das Konzept des Gerechten Friedens als eschatologische, also von Gott her kommende Zukunft versteht. Es wird eingeschärft, Gerechter Friede sei nicht erreichbar, eben weil Menschen Sünder sind und bleiben. Gerechter Frieden komme von Gott. Unser Bemühen um Frieden sei – mit Bonhoeffer – ein Handeln im Vorletzten. Ich unterstreiche aber: Die Vision des Gerechten Friedens ist gleichzeitig punktuell in unserer Welt als Wirklichkeit erfahrbar. Dafür sind Friedensinitiativen besonders wichtig. Es sind solche Erfahrungen des Gerechten Friedens in dieser Welt, die Menschen dazu motivieren, sich im Hier und Jetzt dafür einzusetzen.

Fällt Ihnen theologisch noch etwas auf?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Ja, insgesamt atmet der Text mit seiner Betonung vom Gesetz als Eindämmung des Bösen einen recht lutherischen Geist. Ich meine, es ist jedoch wichtig, in den gegenwärtigen Debatten nicht zu vergessen: Um der Eskalation von Gewalt entgegenzuwirken, ist auch das Evangelium nötig: Jeder Mensch ist in gleicher Weise von Gott gewollt und geliebt. Gerade das Evangelium hilft, unsere Friedenstüchtigkeit und -fähigkeit zu stärken.

Welchen Auftrag hat die Kirche angesichts der aktuelle Debattenlage um kriegerische Konflikte und geopolitische Verschiebungen in dieser Welt?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Unsere Bedeutung als Kirche in der gegenwärtigen Debattenlage um Waffenlieferungen, Militärdienst und mehr liegt in besonderer Weise darin – und hier leistet die Friedensdenkschrift eine wichtige Klärung -, darauf hinzuweisen, dass wir in solchen Konstellationen – wie Dietrich Bonhoeffer das formuliert hat -„so oder so schuldig“ werden. Es gibt dann keine Entscheidung, in der wir ohne Schuld bleiben. Keiner kommt hier mit reinem Gewissen davon. Deshalb ist aber auch die Rede von Gewissensabwägung im Text problematisch. Auch das ethische Gewissen muss, wenn man so oder so schuldig wird, beschwert bleiben. Sonst kommt es zu einer Abkoppelung von ethischer Schuld und Schuld vor Gott. Der Text hingegen sagt, man könne, wenn man sich nach Abwägung der schwierigen Fragen entscheide, ethisch durchaus ohne Schuld sein, nur vor Gott sei man dann noch schuldig. Die Unterscheidung von Schuld vor Gott und ethischer Schuldlosigkeit halte ich in diesem Zusammenhang aber für falsch. Deswegen ist auch der christliche Pazifismus nicht nur als „Ausdruck gelebter Frömmigkeit“ einzuordnen (wie es im Text heißt), sondern muss ein Stachel im Fleisch der hier vorgelegten Friedensethik bleiben.

Auf den Punkt gebracht  – was wäre Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Kirche in Friedensfragen?

Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Tietz: Die Aufgabe der Kirche in den aktuellen Friedensfragen liegt meines Erachtens darin: Kirche erinnert an die Sündhaftigkeit des Menschen, die als Ultima Ratio auch mit rechtserhaltender Gewalt eingedämmt werden muss; und Kirche erinnert mit dem Evangelium daran, dass auf allen Seiten des Konfliktes Menschen stehen, weshalb man mit jeder Entscheidung schuldig wird.

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