Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Eine Frau auf der Couch mit Fernbedienung ist erschrocken über die aktuelle Nachrichtenlage

© Getty Images, srdjanns74

Wieder zeige die Nachrichten, wie angespannt die Weltlage ist. Viele Menschen sind erschüttert, fühlen sich ohnmächtig oder innerlich überfordert – durch Nachrichten über Gewalt, Zerstörung und Eskalation. Was hilft in solchen Momenten?

Angst und Ohnmacht: Wie wir angesichts der Kriege seelisch stark bleiben können

veröffentlicht 23.06.2025

von Rita Haering

Krieg in Nahost, Angst vor Atomwaffen, Ohnmacht angesichts der Weltlage – viele Menschen in Deutschland fühlen sich seelisch belastet. Eine Psychologin, ein Militärseelsorger und eine Friedenspfarrerin geben konkrete Tipps, wie man mit Angst, Trauer und innerer Unruhe besser umgehen kann.

Die Eskalation im Nahen Osten, der Krieg in der Ukraine, die Angst vor atomarer Bedrohung: All das besorgt viele Menschen. Wie können wir mit dieser Ohnmacht umgehen? Was hilft gegen die Angst? Und wie finden wir Halt? Ein Militärseelsorger, eine Psychologin und eine Friedenspfarrerin aus der EKHN geben Antworten – seelsorglich, alltagsnah und stärkend. Die Psychologin Jutta Lutzi, die Friedenspfarrerin der EKHN, Sabine Müller-Langsdorf und Militärseelsorger Thomas Balzk haben sich intensiv mit Reaktionen auf Kriegsgeschehen auseinandergesetzt. Thomas Balzk ist Militärdekan für Koblenz I, aber auch Gestalttherapeut und Eheberater. Für ihn war es notwendig Strategien zu entwickeln, um das zu verarbeiten, was ein Krieg auslöst. Als Militärseelsorger hat er jeweils monatelang Soldatinnen und Soldaten bei Auslandseinsätzen in Afghanistan, Mali, dem Kosovo und Somalia begleitet. Dabei hat er auch gefährliche Situationen wie den Beschuss des deutschen Lagers erlebt.

1. Nachrichtenflut und Dauerstress: Wie wir uns schützen können

„Man sollte auf den Medienkonsum achten, um nicht in einen Zustand der Dauererregung zu geraten“, empfiehlt Psychologin Lutzi. Sie erklärt den Grund: „Die vielfältigen Informationen, die 24 Stunden am Tag verfügbar und oft sehr alarmierend sind, können besonders ängstliche Menschen in einen Panikzustand versetzen. Dadurch können sie Unterschiede nicht mehr wahrnehmen, wodurch sich ein Gefühl der unmittelbaren Bedrohung entwickeln kann.“ Über die aktuellen Ereignisse sollte man sich bei verlässlichen Quellen informieren. Wer zu Ängsten neigt, sollte darauf achten, sich nur zu bestimmten Zeiten den Nachrichten zu widmen. Friedenspfarrerin Müller-Langsdorf gibt zu bedenken, dass „Bilder stärker wirken als Worte.“ Psychologin Lutzi empfiehlt deshalb, sich immer wieder Auszeiten für die Selbstfürsorge nehmen - ob für Meditation, Hobbys, Sport und andere Formen der Selbstfürsorge.

2. Wenn Gedanken kreisen: Strategien gegen innere Unruhe

Leicht ertappen sich manche, dass sie gedanklich alle möglichen Szenarien durchspielen, der Stresspegel steigt. Psychologin Lutzi plädiert deshalb für einen Realitätscheck: „Welche Gefahr besteht wirklich - für welche Menschen wann und wo? In akuter Gefahr befinden sich derzeit die Menschen direkt in den Kriegsgebieten und auf Fluchtrouten.“ Pfarrer Balzk empfiehlt schließlich darauf zu konzentrieren, die Gedankenspirale zu stoppen. Es sei sehr wichtig, sich wieder mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Erst das ermöglicht, eigene Gefühle wie Ängste oder Trauer bewusst wahrnehmen und benennen zu können.

3. Gefühle zulassen: Warum Reden hilft

„Die Zustände, die Bilder aus dem Krieg in uns auslösen, wollen gesehen und bearbeitet werden“, so Thomas Balzk. Vom Verdrängen, einfach weiterfunktionieren und wildem Aktionismus hält er nicht viel. Stattdessen sei es zentral, „die eigenen Gefühle, die Angst, die Trauer zu benennen und darüber zu sprechen.“ Es helfe, darüber mit anderen in Beziehungen, in Familien oder mit Freunden zu reden und zu zeigen, „wie es in einem aussieht“. In einer wohlwollenden Gesprächsatmosphäre auf Augenhöhe können Befürchtungen, Fragen frei geäußert, aber auch die eigene Ohnmacht und Trauer ausgedrückt werden. Der Austausch kann oft dabei helfen, seine eigenen Gefühle deutlicher wahrzunehmen, sich selbst durch das Gegenüber besser zu spüren. Psychologin Lutzi regt zudem an, über sinnvolle Handlungsmöglichkeiten nachzudenken, um etwas zu bewirken und „um nicht in einem Gefühl von Ohnmacht stecken zu bleiben.“
Für alleinlebende Menschen ist es aber nicht immer leicht, einen Gesprächspartner zu finden. Friedenspfarrerin Müller-Langsdorf rät, die Telefonseelsorge als Notfallnummer bei Einsamkeit in Betracht zu ziehen. 

4. Belastung ernst nehmen: Wann professionelle Hilfe wichtig ist

Manchen Menschen ist es aber nicht möglich, Zugang zu ihren Gefühlen herzustellen. Eventuell kann eine wertschätzende Gesprächsatmosphäre, der Zugang über Körperempfindungen, Musik und liturgische Elemente eine innere Tür wieder öffnen, hat Pfarrer Balzk erfahren. Wer allerdings keine Erfahrung darin hat, sich schwierigen Gefühlen zu stellen, sollte sich professionelle Hilfe suchen.
Andere Menschen fühlen sich geradezu überwältigt, die Bilder aus dem Krieg können unbewusst eigene Existenzängste oder Ohnmachtserfahrungen triggern. Manche Menschen tragen aufgrund vergessener, aber unverarbeiteter Ereignisse seelische Belastungen in sich und können beispielsweise retraumatisiert werden. In Auslandseinsätzen hat Pfarrer Balzk erfahren, dass Soldatinnen und Soldaten, die noch unverarbeitete, psychischen Belastungen in sich getragen hatten, besonders gefährdet waren nach einer bedrohlichen Situation eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Zudem hatten sie bis dahin oft nicht gelernt, ihre Gefühle zu benennen. Deshalb empfiehlt Seelsorger Balzk, die eigenen Belastungen ernst zu nehmen und sich evtl. eine professionelle Psychotherapie zu suchen, die unter Umständen auf die Verarbeitung von Traumata spezialisiert ist.

5. Zur Ruhe kommen: Spiritualität als Kraftquelle

In Anlehnung an die 40 Tage Jesu in der Wüste empfiehlt Pfarrer Thomas Balzk, sich eine Zeit der Stille zu nehmen. Anhand von Meditationsmethoden, bzw. der Kontemplation nach der Tradition der Mystik, können phantasierte Gedanken immer mehr losgelassen werden. Es entsteht kraftspendender Raum, in dem sich die oder der Betende immer mehr in das eigene Sein und die Verbindung zu Gott begeben kann. Die Besinnung auf die eigenen Quellen kann die Stärke geben, schwierige Situationen zu bewältigen. Auch Psychologin Jutta Lutzi ermutigt diejenigen, die Erfahrung mit Mediation haben, sie anzuwenden.  

6. Hoffnung im Glauben finden: Was uns trägt

Im Blick auf das Entsetzliche eines Krieges hat Pfarrer Balzk erlebt, dass sein Vertrauen in den christlichen Glauben und die Osterhoffnung ihm geholfen habe, das Gesehene zu bewältigen: „Es geht um das Vertrauen darauf, dass es noch eine andere Wirklichkeit gibt als Leid, Besitz und Macht. Im Reich Gottes ist seine unbeschreibliche Gerechtigkeit und Liebe verwirklicht.“ Mit Blick auf die Härten von Kriegen heißt das für ihn: „Wenn ich ein getötetes Kind sehe, empfinde ich großen Schmerz. Aber ich weiß auch: Es ist jetzt da, wo Frieden ist.“ Auch die Angst vor einem Atomkrieg legt Pfarrer Balzk in die Hände Gottes: „Warum knien wir uns nicht hin und beten zu Gott?: `Wir haben Angst. Gott, bitte stehe uns bei. Wir können nicht tiefer fallen als in deine Hände.´“ Im Gebet könne die Angst benannt und dadurch etwas abgegeben werden. Gebete hätten dadurch etwas Heilendes und Tröstendes – aber sie sind keine Zaubermittel und radieren die Angst nicht aus. Aber sie können helfen, besser mit der Angst umzugehen.
Das Gebet der Vereinten Nationen hat Friedenspfarrerin Müller-Langsdorf in schwierigen Situationen als besonders stabilisierend erlebt. Es lautet: „Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden.“
Konfliktreiche Zeiten erfordern oft schwierige Entscheidungen. Zur Vorbereitung dafür haben sich für Pfarrer Thomas Balzk zwei Wertvorstellungen des christlichen Glaubens als zentral erwiesen:
Zum einen die unmissverständliche Aufforderung Jesu zum Frieden: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ (Mt 5,39)
Zum anderen das Gebot der Nächstenliebe: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 19,19) Aus seiner Erfahrung kann die Auseinandersetzung mit diesen beiden Glaubensaussagen darauf vorbereiten, in einem Dilemma den bestmöglichen Weg zu wählen.
 

7. Gemeinsam für den Frieden: Was wir tun können

Friedenspfarrerin Müller-Langsdorf empfiehlt, an gemeinsamen Friedengebeten oder gemeinsamen Hilfsaktionen teilzunehmen. Das stärke die Erfahrung: „Ich bin nicht allein. Zusammen mit vielen, die Frieden wollen.“ Das öffentliche Gebet sei auch ein Statement: „Ihr seid nicht vergessen. Wir stehen zu euch. Wir glauben, dass Not sich wandeln wird und Frieden gewinnt.“

8. Mit Kinder und Jugendlichen sprechen

Kleine Kinder sollten nach Möglichkeit vor verstörenden Bildern geschützt werden. Ältere Kinder und Jugendliche erfahren ohnehin von einem Krieg über Freunde, die Schule, die Medien oder andere Quellen. Teilweise behalten sie aber ihre Vorstellungen und Ängste für sich. Deshalb ermutigt Pfarrer Balz, den Nachwuchs aktiv anzusprechen und zu fragen: „Was weißt du schon? Wie geht es dir damit? Wollen wir gemeinsam überlegen, wie wir helfen können?“ Die Jugendlichen und Kinder sollten die Gelegenheit haben, sich frei auf Augenhöhe auszusprechen. Darauf können Eltern reagieren, wie Psychologin Jutta Lutzi skizziert: „Es ist wichtig, Kindern eine Orientierung zu geben, was ein Krieg ist, wo er derzeit stattfindet, wer sich in welcher Gefahr befindet und wer nicht. Man sollte vor allem darauf achten, dass man Kinder nicht mit zu vielen Informationen überfordert und ihnen eigene Ängste nicht ungefiltert weitergibt.“

 

9. Nicht übereilt reagieren – sondern gezielt handeln

Als bedrohlich empfundene Situationen können dazu führen, dass Lösungen sofort in Taten gesucht werden. Spontan und unmittelbar angesetzte Aktionen können möglicherweise wenig Wirkung zeigen oder schlimmstenfalls die Spirale der Gewalt weiter anheizen. Deshalb empfiehlt Pfarrer Balzk sich vor Entscheidungen, dem eigenen Innersten und der Verbindung zu Gott gewahr zu werden. Auch Jutta Lutz rät, nicht in Aktionismus zu verfallen. Es sei wesentlich, sinnvoll zu handeln. Das helfe, Ängste und Ohnmachtsgefühle zu bewältigen und etwas zu bewirken: „Direkt beteiligen können sich Menschen beispielsweise an Demonstrationen, Spenden- und Hilfsaktionen, Friedensgebeten.“

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